Dienstag, 2. Juli 2013

Story: "Im Auftrag der Toten"

Dies ist der Bericht eines von mir verkörperten Charakters des letzten Liverollenspiels, auf dem ich war. Da das Spiel mit den anderen in meiner Gruppe sehr schön war, wollte ich es einmal niederschreiben, was passiert ist, aus der Sicht des erwähnten Charakters, auch wenn er am Ende das Zeitliche gesegnet hat.

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Wie kam es nur dazu? Was hatten wir erwartet, wie es ausgeht? Wäre auch ein anderes Ende möglich gewesen, hätte die Macht des falschen Königs gebrochen werden können? Vielleicht... doch ich sollte am Anfang beginnen.

Die Baroness hatte mich zu sich gerufen von seltsamen Träumen und Stimmen geplagt, die ihr seit Wochen den Schlaf raubten. Doch so müde sie auch wirkte, sah ich doch zum ersten Male seit beinahe einem Jahrzehnt wieder ein dünnes Lächeln auf ihrem Gesicht, in ihren Augen glitzerte Hoffnung, die sie eigentlich schon lange begraben hatte. Ihren Verlobten hatte sie im Schlafe gesehen, er habe sie angesprochen und habe ihr mitgeteilt, es gäbe eine Möglichkeit für ihn zurück zu kehren aus dem Dunkel des Todes. Zweifelnd sah ich sie an, sie muss diesen unausgesprochenen Zweifel erkannt haben, bemühte sie sich doch die Glaubwürdigkeit ihrer Visionen deutlich zu machen. Ich konnte es kaum glauben und wollte es doch, zerriss es mir doch jedes Mal aufs Neue das Herz, wenn ich sie still weinen und trauern sah. Zwar hielt ich diese ganze Geschichte für suspekt und seltsam, dennoch erklärte ich mich dazu bereit mit zwei weiteren Getreuen der Anleitung der Stimme zu folgen und dem verstorbenen Geliebten meiner Herrin zur Hilfe zu eilen, auch wenn dies möglicherweise eine Falle war und unser Ende bedeuten würde. Meine Erinnerungen an den Weg zur angegebenen Stelle sind verschwommen und werden immer undeutlicher. Schon seltsam, wie mein eigenes Leben in der weltlichen, der mundanen Sphäre in immer weitere Ferne rückt und ich Mühe habe, mich an das Gesicht der Baroness zu erinnern, die uns zum Abschied von den Zinnen der Burg zuwinkte...

Dunkelheit. Dunkelheit und eine Stimme. Das war es, was ich beim Übergang erlebte. Eine kriecherische Stimme, die offenbar die Mächte der Verderbnis anrief, voller Entsetzen fand ich mich in einem rituellen Achtstern wieder, als die Dunkelheit wich, ein widerlicher kleiner Mann spie allerlei Beschwörungsformeln und Flüche gegen die guten Götter hervor, ringsum erkannte ich meine Begleiter und andere, die ich nicht kannte und die aus fernen Ländern zu stammen schienen. Die Landschaft sah aus wie ein normaler Wald und dennoch... genauere Blicke offenbarten Unterschiede, die Art der Bäume hatte ich noch nie gesehen, alles wirkte auf seltsame Weise künstlich. Das Gefasel des Kultisten endete und er führte uns, die wir noch ganz perplex und verwirrt vom Übergang an diesen Ort, „irgendwo im Inferno“, wie uns unser abscheulicher Ortskundiger mitteilte, an den Hof finsterster Kreaturen, deren Beschreibung allein eine Gefahr für das Seelenheil unbescholtener Menschen darstellen würde. Und dort sahen wir ihn... er war es tatsächlich, der Verlobte meiner Herrin stand vor uns, sprach und war offenbar überrascht uns zu sehen. Wie es zu erwarten war, die ganze Sache war eine Falle der anwesenden dämonischen Wesenheiten.

Was hätten wir tun sollen, wie hätten wir uns verhalten sollen? Der Wille zum Widerstand war vorhanden bei uns, die wir doch lebendig an diesen Ort des Schreckens gekommen waren, doch wir sahen, wie die versammelten Toten, die durch die Macht unseres unmenschlichen Gastgebers wieder Körper und Verstand an diesem Ort erhalten hatten, vor jenem das Haupt beugten und sich auf alles einließen, was er ihnen mit vor Lug und Trug triefender Stimmer versprach. Zurück ins Leben wollte er jene bringen, die sich in den Spielen, die er veranstalten wollte, durchsetzten. Selbst unser Herr, zu dessen Unterstützung wir hergeeilt waren, schien sich auf diesen schändlichen Handel ein zu lassen, auch wenn wir ihn warnten und anflehten, den grausamen Anhängern des Weltenvernichters nicht zu glauben.

Hatte ich dafür 5 Jahre lang im Krieg gekämpft gegen jene, die uns nun als ihre „Gäste“ zu allerlei Schandtaten und auch zur Zwietracht untereinander anhielten? Immer furchtbarer wurden die Spiele, die abgehalten wurde, so gut wir es konnten, entzogen wir uns, ungläubig mussten wir jedoch mit ansehen, wie unser Herr offenbar bereit war, den gleichen Weg wie jene schwachen Seelen einzuschlagen, die all jene Abscheulichkeiten mitmachten nur für die trügerische Hoffnung auf eine Rückkehr ins körperliche Leben.

Dann holten sie ihn zu sich, drohten ihn zu opfern, ihm den Kopf abzuschlagen und diesen buchstäblich als Spielball zu benutzen. Starr vor Schrecken betrachteten wir die Szene, sie wollten ihn zwingen einen anderen der Anwesenden zu benennen, auf das sie ihm diese schreckliche Schändung des Körpers antun könnten. Doch der Herr blieb standhaft und mit ruhiger Stimme teilte er den geifernden Dämonen und dem restlichen Abschaum mit, dass, wenn sie denn jemanden quälen und opfern wollten, sie ihn nehmen sollten, damit niemand anders dieses Schicksal zu erleiden hätte. Wir, die wir gekommen waren, ihn zu retten, traten vor um unsere eigenen Köpfe an seiner statt anzubieten, was unseren Herrn mit Schrecken erfüllte, wollte er doch nicht, dass jemand für ihn stürbe. Doch die wankelmütigen Dämonen hatten sich längst für einen anderen entschieden, den sie quälen und töten könnten und schickten uns alle wieder weg aus ihrem Thronsaal. Erschüttert, aber noch nicht gänzlich überzeugt, wollte unser Herr weiter an den Spielen teilnehmen.

Doch dazu sollte es nicht kommen, denn an seiner statt wurde der Oger in den Thronsaal geschleppt und auf den schwarzen Opfertisch in der Mitte des Raumes gebunden. Ich kann nur vermuten, was sie ihm bereits alles angetan hatten, als sie nach unserer Heilerin schicken ließen, die die bedauernswerte Kreatur wieder stabilisieren sollte, damit sie weiter ihre Greueltaten an ihr verüben konnten. Ich versuche das Bild aus meinem Kopf zu vertreiben, doch es gelingt mir nicht, ich kann nicht vergessen, wie die Dämonen und ihr menschliches Gefolge ringsum lachten und sich amüsierten über die Qualen, die dem Oger zugefügt wurden, wie er schrie und litt, wie die beiden abscheulichen Kreaturen, die ihn folterten, mit kalter Stimme den Zuschauern beschrieben, was sie ihm antaten. Noch schlimmer waren jedoch die Teilnehmer der Spiele, die Toten, die offenbar inzwischen Gefallen an dem Treiben der Dämonen gefunden hatten und ebenfalls voll perverser Freude zusahen, wie das Blut floss. Angewidert wollte ich mich abwenden, doch ich konnte es nicht, musste die Szene mit versteinerter Miene beobachten. Der Heilerin gebührt alles Lob ob ihres Mutes: Anstatt zu tun, weshalb man sie gerufen hatte und die Wunden zu versorgen, sorgte sie heimlich für das Ableben des Ogers. Während die Dämonen sich noch über seinen Tod ärgerten und die Leiche weiter verunstalteten, führte ich sie, über deren Wange die Tränen liefen, schnell aus dem Raum und zurück zu unserem Herrn.

Er hörte sich erschüttert unseren Bericht an, selbst jene, die bei ihm saßen, verstummten. Einige Zeit schwieg unser Herr, dann nickte er, sah uns an und sagte uns, dass wir recht hätten, es könne keinerlei Kooperation mit den Mächten der Verderbnis geben und er dankte uns dafür, dass wir ihn wieder auf den richtigen Weg zurück geführt hätten. Er schien vor unseren Augen zu wachsen, während er sprach und klar stellte, dass der Zweck niemals die Mittel heiligen könne und dass wir fortan an keinem der Spielchen der Kreaturen mehr teilnehmen würden. Zudem gelobte er alles zu tun um ihre Pläne zu vereiteln oder bei dem Versuch zu sterben. Ich musste schlucken, war mir doch in diesem Moment endgültig klar, dass weder er noch wir jemals wieder lebendig zu seiner Verlobten in die mundane Sphäre zurückkehren würden. Ich versuchte mich an ihr Lächeln beim Abschied zu dieser Mission zu erinnern, doch es gelang mir nicht, schon da war meine Erinnerung an mein Leben getrübt.

Vorbereitungen wurden getroffen. Verbündete wurden gesucht. Pläne wurden gemacht. Doch sollte es alles anders kommen... den entscheidenden Moment verpassten wir. Jener, der den Schlag gegen die Dämonen beginnen sollte, war zu sehr an seiner eigenen, kleinen Existenz und seinen eigenen, kleinen Plänen interessiert und ließ uns im Stich um doch wieder nach den Regeln der Kreaturen zu handeln. Tatenlos mussten wir mit ansehen, wie die Ereignisse im Thronsaal sich überschlugen und wie der falsche König auf schändliche Weise über seine Feinde unter den anderen Kreaturen triumphierte. Hätten wir nun doch nicht handeln sollen? Hätten wir unser Knie beugen sollen vor den dämonischen Mächten und all das verraten, wofür wir gekämpft hatten, im Leben und auch im Tod? Niemals!

Als unser Herr seine Klinge zog, war unser Schicksal, unser Tod eigentlich bereits beschlossen. Dennoch folgten wir ihm mit erhobenen Waffen, als er im Namen des wahren Königs, „für König Warnulf Torwendil!“, seinen Schlachtruf erschallen ließ und sich auf die Geschöpfe des Feindes warf. Ich sah tapfere und gute Menschen fallen unter den Hieben und Klingen der Kreaturen und ihrer menschlichen Diener, ich sah verzweifelten Mut, als unsere Heilerin, die kaum ihr Schwert heben konnte, die Wachen des falschen Königs attackierte und während ich mein bestes tat um meine eigene Haut ebenfalls so teuer wie möglich zu verkaufen, spürte ich die Hand der Frau des falschen Königs auf meiner Schulter. Selbst durch meine Rüstung hindurch fühlte ich die Kälte ihres Griffes, ich hörte gezischte Worte in einer Hexensprache, die ich nicht verstand, dann trübte sich mein Blick, mein Körper wurde unbeweglich und verwandelte sich binnen Sekunden in festen, harten Stein.

Das letzte, was ich sah, war mein Herr, der sich gegen zwei Angreifer zur Wehr setzte und blutüberströmt zusammenbrach. Dann wurden auch meine Augen zu Stein und ich sah und fühlte nichts mehr.

Eine Rückkehr gibt es nicht, weder für mich noch für einen meiner Begleiter oder für unseren Herrn, für den wir das ganze getan haben. Dennoch... bin ich nicht von Trauer erfüllt. Wir haben getan, was getan werden musste, auch wenn es unser eigenes Leben gekostet hat. Wir haben uns den Dämonen der Verderbnis entgegen gestellt und uns ihren Spielchen widersetzt, auch wenn wir sie nicht verhindern konnten. Auch wenn unsere Körper vernichtet, unsere Seelen verloren sind... wir haben uns nicht von ihnen korrumpieren lassen. Niemals hätten wir seiner Verlobten, seinen Freunden oder seinem Vater ins Antlitz blicken können, wäre er zu dem Preis, den die Kreaturen der Verderbnis forderten, ins Leben zurück gekehrt.

Ich weiß nicht, warum ich das erzähle. Ich weiß nicht, wem ich das erzähle. Ich denke nur, so lange mein Geist noch dazu fähig ist zu denken, dass es erzählt werden muss, auf dass es nicht in Vergessenheit gerate und auf dass sich irgendwann vielleicht jemand daran erinnere. Möge es nicht vergessen werden.