Ich führe seit einiger Zeit mit meiner
Partnerin eine offene Beziehung. Für uns bedeutet das, dass jeder
von uns auch mit anderen Personen in sexuellen Kontakt treten kann,
wenn dies abgesprochen wurde und der Partner nicht von seinem
Veto-Recht Gebrauch macht. Menschen reagieren sehr unterschiedlich
auf diese Tatsache. Manch einer heißt dies einfach gut und
akzeptiert es, manch einer lehnt es ab und schüttelt nur den Kopf
und die meisten sind neugierig, wenn auch skeptisch, und stellen
Fragen. Eine der beliebtesten Fragen, die immer wieder kommt, ist
hierbei:
„Habt ihr keine
Angst, dass sich einer von euch dabei verliebt?“
Um genau diese Frage, ihre
Implikationen und ihre Beantwortung soll es sich hier drehen. Ich
sehe hierbei zwei Ansätze, die ich nacheinander verfolgen will, die
aber sicherlich auch ineinander verknüpft sind.
1. Angst führt in den Wahnsinn.
Im Grunde genommen besteht ständig und
immer die Gefahr, dass sich ein Mensch (neu) verliebt. Er muss dazu
nicht mit jemandem schlafen, vermutlich sind die meisten Menschen
schon verliebt, bevor sie sich einem anderen auch körperlich
hingeben. Sei es bei einem gemeinsamen Kinobesuch, einem Kaffee,
einer Party bei Freunden, einem kurzen Blickkontakt im Bus... selbst
bei so etwas kräftezehrenden und unerotischem wie einem Umzug sollen
sich bereits Paare kennen und lieben gelernt haben. Die Liebe lauert
überall, wenn man also diese Angst empfindet, dass der Partner sich
beim Sex mit einer anderen Person in diese vergucken könnte, ist das
der erste Schritt auf einer sehr rutschigen Straße von Eifersucht,
Unsicherheit und Zweifel, da man ziemlich schnell realisiert, in wie
vielen anderen Situationen dies ebenfalls passieren kann. Wenn man
nun aber vernünftig und mit klarem Kopf an die Sache herangeht und
akzeptiert, dass diese Gefahr ohnehin allgegenwärtig ist, egal was
man tut, kann man auch einfach auf die Angst verzichten. Alternativ
dürfte man den Partner wohl konsequenterweise nicht mehr allein das
Haus verlassen lassen, was wohl in niemandes Sinne ist. Verhalten wir
uns also wie vernünftige Erwachsene und erkennen die Irrationalität
dieser speziellen Angst.
2. Wäre es denn so schlimm?
Sicherlich kann man auch mit einer
Person den Koitus vollziehen, für die man keine tieferen Gefühle
als körperliche Anziehungskraft hegt, doch ist das Erlebnis in der
Regel intensiver und angenehmer, wenn die Beteiligten sich zumindest
sympathisch finden. Dementsprechend ist in den meisten Fällen, in
denen man "es" außerhalb seiner Partnerschaft tut, eine gewisse
Attraktion zwischen den Handelnden schon vorhanden, die natürlich
durch ausgeschüttete Hormone noch verstärkt wird. Man kann eine
gewisse „Verknalltheit“ nicht leugnen, die entsteht, wobei hier
die zu Beginn des Absatzes gestellte Frage abgewandelt aufgegriffen
werden muss: Ist das denn so schlimm? Wenn man ehrlich zu sich selbst
ist und in sich geht, taucht dieses Gefühl der Schwärmerei und
Verliebtheit doch immer mal wieder auf, auch wenn man seit vielen
Jahren glücklich in einer Beziehung zu einem anderen Menschen ist
und sich die Gefühle für den Partner nicht verringert haben. Man
lernt eine Person kennen, die auf bestimmte Weise die eigenen
Interessen oder Meinungen teilt, man hat einen ähnlichen Humor,
fühlt sich zu dieser Person hingezogen und schon fühlt man sich
wieder wie ein Teenie, der Hals über Kopf verschossen ist. Jetzt
kommt allerdings wieder der Part des Erwachsenen, den vermutlich in
so einer Situation nicht jeder bewältigen kann, man muss diese
Gefühle reflektieren und relativieren können. Ist es das, was ich
will, liebe ich meinen Partner nicht mehr, kann ich nur mit dieser
neuen Person glücklich sein? Oder ist es einfach nur eine
kurzzeitige Schwärmerei, hat sich an den Gefühlen für meinen
Partner nichts geändert, will ich überhaupt nichts ändern an der
aktuellen Situation? Es geht hierbei nicht darum Gefühle zu
unterdrücken, es geht darum Gefühle zu verstehen und mit ihnen
umzugehen. Ich gebe zu, dass es in meiner langjährigen Beziehung
mehrere Male vorkam, dass ich mich, obwohl ich meine Partnerin liebe
und wir wunderbar harmonieren, kurzzeitig in eine andere Person auch
ohne Kopulation verguckt habe und lernen musste mit diesen Gefühlen
umzugehen. Ich weiß, dass es ihr auch ähnlich ergangen ist.
Entscheidend ist eben zu wissen, was man will oder es eben
herauszufinden, wenn man unsicher ist.
Beide Punkte haben im Grunde
die gleiche Aussage und geben die gleiche Antwort auf die Frage oben:
Wenn man erwachsen und
vernünftig damit umgeht, stellt das kein Problem dar.
Ein etwas lockerer Umgang
mit der ganzen Thematik wäre wohl oft sinnvoll. Meiner persönlichen
Meinung nach sind Menschen ohnehin nicht für die Monogamie
geschaffen und durchaus auch in der Lage mehr als eine andere Person
wirklich und wahrhaftig zu lieben, wenn sie sich das eingestehen und
es zulassen.
Vermutlich wäre die Welt ein noch
traurigerer Ort, wenn es nicht so wäre.