Donnerstag, 20. März 2014

Story: Bekenntnisse eines Suizidalen

Guten Tag. Mein Name ist Jan und ich bin, wenn Sie dies lesen, soeben von einem Hochhaus gesprungen. Ich wurde nicht gestoßen, niemand hat mich gezwungen dies zu tun, ich habe aus freien Stücken und im (vielleicht nicht vollen) Besitz meiner geistigen Kräfte entschieden meinem Leben ein Ende zu machen. Es gibt viele Worte dafür: Selbstmord, Freitod, Selbsttötung... ich persönlich bevorzuge „Suizid“. Es wirkt gleich viel gebildeter, wenn das Wort, das man verwendet, aus dem Latein kommt und es verschleiert auf diese Weise auch noch wunderbar die gewalttätige Endgültigkeit der Handlung.

Ich nehme im Sturz Fahrt auf, ich spüre den Wind auf meiner Haut und sehe das oberste Stockwerk an mir vorbeirauschen. Interessant, dass ich Ihnen das noch immer mitteilen kann, was? Auch wenn der Weg nach unten der letzte Moment meines Lebens sein mag, so zieht er sich doch hin wie Kaugummi, Sekunden werden zu Minuten, Minuten zu Stunden und ich falle und falle. Ich kann unten den Grund sehen, der sich nähert, die Höhe des Gebäudes habe ich bewusst gewählt, ich wollte sicher gehen, dass nichts falsch läuft. Kurz schießt mir der Gedanke durch den Kopf, ob ich wohl bis unten die maximale Fallgeschwindigkeit erreichen werde. Erinnerungen an den Physikunterricht erscheinen vor meinem geistigen Auge, doch ich weiß nur noch, dass es mit der Masse des fallenden Gegenstandes und der zurückgelegten Entfernung zusammenhängt. Fallender Gegenstand. Das bin ich dann nun wohl auch. Ein physikalisches Experiment.

Ich hatte ein wenig den Film meines Lebens erwartet, der während des Sturzes abläuft. Ich bin nicht sonderlich enttäuscht, dass die Vorstellung ausbleibt. Hätte ich ein bemerkenswertes Leben voller filmwürdiger Highlights gehabt, wäre ich wohl nicht gesprungen, eine Wiederholung meines vielfachen Versagens ist nicht in meinem Interesse. So viele Fenster, so viele Stockwerke, die an mir vorbei sausen. Wer mag dahinter wohl leben, wie mag es diesen Menschen gehen? Ob einer von ihnen meinen Sturz bemerkt? Nun regt sich doch ein schlechtes Gewissen in mir, denn mir wird bewusst, dass jemand die Sauerei, die ich gleich da unten anrichten werde, entdecken und jemand sie auch entfernen muss, zwei Aufgaben, die sicherlich nicht viel Freude bereiten. Es ist ein selbstsüchtiger Schritt, den ich da gegangen bin, doch es gibt einige Schritte im Leben, die man nur vorwärts, aber niemals zurück gehen kann.

Der Boden kommt nun rasant näher, ich erkenne bereits die Pflastersteine, die gleich meinen Schädel zum Platzen bringen werden. Zumindest hoffe ich das, es erschien mir als die schnellste Lösung mit dem Kopf voran zu fallen, ein Aufprall und ein möglichst unmittelbares Ende. Doch ich merke, dass der Plan wohl nicht so ganz aufgeht, mein Körper fällt nicht etwa gerade sondern ist ins Schlingern geraten. Ich drehe mich bei meinem Sturz und kann nun nicht mehr sicher sagen, welcher Teil meines Körpers zuerst aufschlagen wird. Das habe ich so nicht gewollt, doch ich gehe davon aus, dass es egal ist, der Aufprall dürfte auf jeden Fall tödlich enden. Auf die eine oder die andere Weise.

Der Wind zerzaust mein Haar und ich spüre ein Frösteln, es ist kalt hier an der Luft. Aber die Kälte wird bald vergehen. Ich denke an meine Freunde und meine Familie, für die ich Abschiedsbriefe hinterlegt habe. Zwar war der Schritt halbwegs spontan, doch habe ich schon lange mit dem Gedanken gespielt, es war dann keine große Sache alles so in die Wege zu leiten, wie ich es mir vorgestellt hatte. Wie werden sie wohl darauf reagieren, wie wird ihr Leben weitergehen? Bei den meisten wird sich wohl wenig ändern, ich kann mir denken, dass es sie nicht sonderlich trifft. Einige werden wohl eher wütend sein als traurig und mich hassen für das, was ich hier gerade tue. Und einige... ich sehe zwei Gesichter vor mir, aufgelöst in Tränen. Für sie wird das Leben nie mehr so sein, wie es war, ich tue ihnen sehr weh. Ich schlucke, es ist schwer, ich habe einen Kloß im Hals.

Ich versuche diese Gedanken zu vertreiben, doch sie haben sich festgesetzt. Kennen Sie das, wenn Sie krampfhaft versuchen nicht an etwas bestimmtes zu denken? Ziemlich sicher gelingt das nicht. Was mache ich hier, was fällt mir ein? Selbstbestimmung über sein eigenes Leben und seinen eigenen Tod ist ja schön und gut, aber ich mache hier mehr kaputt als nur meinen Körper. Ich liebe diese Menschen und will nicht dass es ihnen schlecht geht, ich hätte niemals springen sollen, ich... ich schlage auf. Der Aufprall drückt mir alle Luft aus dem Körper, es tut höllisch weh, auch wenn ich gehofft hatte, dass ich das nicht mehr spüre. Knochen bersten, mein Blut spritzt überall hin, Organe werden zerquetscht, die Schmerzen steigern sich ins Unermessliche. Und dann öffne ich die Augen.

Ich sehe nach unten, trete zügig einen Schritt von der Kante des Daches zurück. Ich zittere am ganzen Körper, während ich tief durchatme und versuche mich zu beruhigen. Ich weiß nicht, wie lange ich hier schon stand, wie jedes Mal habe ich mein Zeitgefühl verloren. „Ich werde auch heute nicht springen!“ Die Worte kommen erst sehr leise, ich muss mich räuspern, und wiederhole sie noch einmal, lauter, klarer, deutlicher. Während ich mich weiter vom Dach zurückziehe und mich der Treppe nach unten nähere, kann ich wieder besser atmen, spüre das Sonnenlicht auf der Haut und höre den Lärm der Stadt dort unter mir. Ich nicke dem Rand zu, meiner Hassliebe, und murmele „Bis morgen“. Vielleicht auch erst übermorgen oder nächste Woche. Wer weiß schon, was kommen wird?

Mittwoch, 12. März 2014

Egoismus oder lieber nicht?

Kann es richtig sein etwas zu tun, nur weil man es wirklich sehr gerne tun will, auch wenn andere Menschen möglicherweise Einschränkungen dadurch ertragen müssen? Es wird von allen immer und überall erwartet, dass sie selbstlos und edel handeln, dass sie nicht an sich selbst, sondern nur an ihre Mitmenschen denken... ist das überhaupt realistisch oder geht man davon kaputt? Oder sind solche Gedanken nur ein Versuch der Rechtfertigung, der Absolution des eigensüchtigen Wunsches? Ich bin ein wenig überfordert mit dem, was ich will.