Vor einigen Tagen stolperte ich im
sozialen Netzwerk über diesen
Link. Ich finde den Ansatz sehr spannend und beeindruckend. Kurz
zusammengefasst geht es darum, dass Menschen mit psychischen
Erkrankungen ihre Geschichte erzählen und mit der Welt teilen
sollten, nicht um Aufmerksamkeit für sich selbst zu generieren,
sondern um zu zeigen, dass es keine Schande ist, kein Stigma bedeutet
mit einer solchen Problematik zu leben. Viele Menschen haben ähnliche
Erfahrungen gemacht und oft genug wird ihre Krankheit von ihrer
Umgebung nicht erkannt oder verharmlost. Für mich war bei der
Lektüre des Textes neu und erschreckend, dass die Anzahl der
jährlichen Toten durch Suizid die Zahl derer, die durch Kriege und
Tötungsdelikte zusammengefasst sterben, übersteigt – wenn man das
ein wenig sacken lässt, ist es aber leider nicht mehr so
überraschend. Vielleicht liege ich vollkommen falsch, wenn ich
diesem Text zustimme. Vielleicht wirkt es alles weinerlich und
schwach, dass ich mir Gedanken darüber mache. Aber vielleicht, nur
vielleicht, ist es auch richtig offener mit psychischen Erkrankungen
umzugehen. Vielleicht hilft es Betroffenen, die dies aus
verschiedenen Gründen nicht können, sich auch zu offenbaren und
Hilfe zu suchen. In diesem Sinne folgt dann nun an dieser Stelle
meine Geschichte.
Ich habe Depressionen und soziale
Phobien/Angststörungen. Ich habe die Symptome sehr lange nicht
zuordnen können, bis es irgendwann nicht mehr ging. Ich habe mich
immer mehr zurückgezogen, habe soziale Kontakte gemieden, war
schlecht gelaunt und unfair zu anderen Menschen. Ich hatte Probleme
aus dem Bett zu kommen und mich überhaupt zu irgendetwas
aufzuraffen, ich fühlte mich körperlich schwach und ausgelaugt,
obwohl ich in den schlimmen Phasen eigentlich gar nichts gemacht
habe. Dazu kam dann noch eine „Traurigkeit“ (in Ermangelung eines
besseren Begriffs), die ständig da war und für die es eigentlich
keine Gründe gab. Am schwersten fällt es mir stets über meine
Suizidgedanken zu reden, da ich mich für diese schäme – aber
eingangs habe ich ja formuliert, dass Scham nicht angebracht ist. Ich
hatte diese Gedanken sehr oft und habe oft Pläne und Möglichkeiten
für einen Selbstmord abgewogen. Einen Versuch habe ich niemals
unternommen, die Auswirkungen auf die Leben anderer haben mich davon
abgehalten – und, auch wenn es böse klingt, die Angst, dass es
nicht klappt und dass ich im Krankenhaus „aufwache“. Soviel zur
Depression.
Dazu kommen dann noch die genannten
Angstsituationen. Ich war noch nie ein sonderlich geselliger Typ,
aber das konnte sich offensichtlich noch steigern. Ich hatte Angst
davor mit mir unbekannten Menschen zu reden oder auf eine beliebige
Art zu interagieren, irgendwann griff das sogar auf meinen Bekanntenkreis über. Man kann sich vorstellen, dass das doch recht
einschränkend für das tägliche Leben ist. In der späteren
Therapie wurde es formuliert als „Angst nicht zu genügen“, und
das trifft es ganz gut. Ich hatte und habe noch immer Angst, dass
Menschen meine Unzulänglichkeiten erkennen könnten und mich deshalb
zurückweisen. Das führte dazu, dass ich Jobs verlor, mich von
Freunden zurückzog und öffentliche Situationen immer mehr mied.
Selbst in diesem Moment, in dem ich diesen Text schreibe, habe ich
Angst, dass er nicht ausreichend sein könnte. Vielleicht sind meine
Formulierungen, meine Worte, mein Schreibstil unverständlich oder
schlecht, vielleicht sind meine beschriebenen Probleme so unerheblich
und uninteressant, dass die Arbeit sie niederzuschreiben völlig
verschwendete Zeit ist – es ist ein ewiger Kampf.
Ich habe mir Hilfe gesucht. Zunächst
über meinen Hausarzt, der überraschend verständnisvoll reagierte
und sich sehr viel Zeit für mich nahm, obwohl er sonst sehr kurz
angebunden ist. Dann, als die Gespräche mit ihm nicht mehr weiter
halfen und ich keine medikamentöse Behandlung wollte, habe ich eine
Therapie begonnen. Es ist schwer einen Therapieplatz zu finden, auch
wenn man keine Angst davor hat zu telefonieren und dann mit jemandem
sprechen zu müssen. Viele Menschen suchen anscheinend einen und die
Wartelisten sind entsprechend lang. Das mag auf den ersten Blick
ernüchternd und demotivierend sein, jedoch kann man auch hier sehen:
Du bist nicht allein, viele Leute haben ähnliche Probleme, du
brauchst dich nicht für deine zu schämen.
Ich hatte Glück und bin recht schnell
in die Therapie gekommen und ich denke, dass sie mir geholfen hat mit
mir selbst umzugehen. Es ist immer noch nicht „gut“ und das wird
es vermutlich auch nicht werden. Zur Zeit merke ich, dass gewisse
Muster sich wieder einschleichen und dass ich gegensteuern muss. Die
„Traurigkeit“ ist wieder da, ich kapsle mich von Leuten ab und
habe große Schwierigkeiten mich selbst zu motivieren, zudem vermeide
ich es mit anderen über mich und meine aktuellen Probleme zu reden,
da diese für sie wahrscheinlich belanglos sind oder da diese
Menschen momentan zu beschäftigt mit eigenen Dingen sind – soviel
zur Selbstanalyse, ich erkenne die Anzeichen und weiß, womit ich es
zu tun habe. Es ist eine tückische Sache, aber ich kann
wahrscheinlich dieses Mal besser damit umgehen, auch weil ich mir
damals Hilfe gesucht habe.
In meinem Umfeld waren die Reaktionen
unterschiedlich, aber größtenteils positiv, was ich zuvor nicht
erwartet habe. Auch das kann Mut machen. Bis auf wenige Ausnahmen
konnten alle, denen ich meine Erkrankung offenbart hatte, damit
vernünftig umgehen. Ich habe nur sehr wenig bis gar keine
Zurückweisung oder Unverständnis erfahren, wie sie in dem eingangs
verlinkten Text beschrieben sind. Allerdings ist der Personenkreis,
mit dem ich offen über die Sache gesprochen habe, auch sehr klein.
Leider habe ich immer wieder beobachten müssen, dass andere Menschen
mit ähnlichen Problemen von ihrem Umfeld nicht so ideal behandelt
wurden, um es vorsichtig auszudrücken. Auch das erschreckt mich auf
eine gewisse Weise.
Was bleibt dazu noch zu sagen?
Psychische Erkrankungen sind keine „Modeerscheinung“ und kein
Spaß. Man hat heutzutage Begriffe dafür und kann sie behandeln und
das sollte man auch, da sie sehr gefährlich sind und in viel zu
vielen Fällen tödlich enden. Ich bin mir sehr bewusst, wie nahe ein tödliches Ende in meinem Fall war. Ein Großteil der Bevölkerung wird
mindestens einmal im Leben eine depressive Episode durchmachen.
Niemand ist schwach oder ein schlechterer Mensch, wenn er solche
Probleme hat. Es ist auch niemandem geholfen, wenn man mit Erkrankten umgeht, als wären sie schwach. Man kann immer Hilfe finden, Freunde und Familie,
Ärzte, Therapien, Medikamente. Es sich selbst gegenüber kleinreden
und „niemandem zur Last fallen zu wollen“ sind keine Lösungen,
sondern machen es nur schlimmer. Das mögen ziemliche Klischees sein
und ich bin mir aus eigener, leidvoller Erfahrung bewusst, dass es
einige Überwindung kostet den ersten Schritt zu machen. Ich kann nur
sagen, dass ich ihn gemacht habe und dass es mir geholfen hat.
Und was ist deine Geschichte?