Sonntag, 8. Dezember 2013

Wahnsinn des Alltags: Der Weihnachtsmarkt

Es hat durchaus seine Vorteile in der Innenstadt zu wohnen. Einkaufsmöglichkeiten und Unterhaltungseinrichtungen sind fußläufig erreichbar, die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist relativ gut und, da der Heimatort doch im Verhältnis nicht sonderlich groß ist, das Verkehrsaufkommen auf den Straßen hält sich in Grenzen. Doch hat alles Gute, Praktische in dieser Welt auch immer seine Schattenseiten. Eine dieser Schattenseiten offenbart sich einmal jährlich, wenn die Tage kürzer werden und die längste Nacht näher rückt. Sie nennt sich: Weihnachtsmarkt.

Die mittelgroße Stadt rühmt sich ihrer umso größeren Tradition der vorweihnachtlichen Fress-, Plunder- und Saufbuden, die sich mittlerweile auf so gut wie jeder freien Fläche der Innenstadt finden. Ergänzt werden diese sicherlich sehr festlichen Angebote durch Karussells, ein Riesenrad und Straßenmusikanten, die sich von der vorbei drängenden Menschenmasse ein wenig Kleingeld erhoffen, während sie mehr schlecht als recht in der Kälte stehend Weihnachtslieder frei interpretieren. Natürlich wittern auch die Einzelhändler und Gastronomen der Innenstadt das Geschäft und geben sich alle Mühe einen möglichst großen Anteil der besinnlich drängelnden Leute für ihre Angebote zu begeistern. So bietet sich dann dem Eingeborenen bereits an Werktagen, wenn das Personenaufkommen nicht so enorm ist, ein wahrer Spießrutenlauf um sein meist klar definiertes Ziel zu erreichen, wenn er sich aus dem Haus wagt. Verengte Wege durch die bereits Wochen vor Eröffnung aufgestellten Holzbuden, Slalom-Kurse um die weiter ins Sichtfeld verlegten Auslagen der Geschäfte und die vergebene Mühe nicht ständig in Körperkontakt mit völlig Fremden zu geraten, die immer wieder abrupt stehen bleiben, sich quer zur Gangrichtung bewegen und ganz allgemein schrecklich verwirrt scheinen, kennzeichnen den eigentlich harmlosen Gang um noch schnell ein Pfund Zucker aus dem Supermarkt zu holen.

Doch der wahre Schrecken wartet am Wochenende.

Kann man in der Woche in den meisten Fällen als Ortskundiger noch die schlimmsten Engpässe und Ansammlungen von Menschengezücht umgehen und vermeiden, wird dies zwischen Freitagnachmittag und Sonntagabend fast unmöglich. Selbst in kleinen, abgelegenen Straßen, die weit von den bunten und so abwechslungsreichen Angeboten des Weihnachtsmarktes entfernt liegen, tummeln sich kleine oder größere Gruppen von Personen, sei es, weil sie sich verirrt haben oder sei es, weil sie der Meinung sind, dass sie hier die Stimmung besser erleben können. So stellt sich dann dem unschuldigen Spaziergänger, der eigentlich nur etwas frische Luft atmen (was auch schwierig ist, sie scheint in einem Umkreis von hunderten Metern von Bratenfettdünsten und Zuckerhauch erfüllt zu sein) und sich durch etwas Ruhe entspannen wollte, eine ganze Horde entgegen, durch Glühwein alkoholisierte ältere Menschen, quengelnde Kinder, vom Weg abgekommene Touristen, die eine möglichst genau Wegbeschreibung zu der aktuell am weitesten entfernten Sehenswürdigkeit erfragen, Einheimische, die niemals auch nur einen Fuß in diese Straßen gesetzt haben außerhalb des Adventes und noch viele andere angenehme Zeitgenossen mehr. Wenn dann noch Personen in Löwen-, Waschbären- und Kuhkostümen des Weges kommen, ist der Punkt erreicht, an dem nur noch die Flucht in die eigenen vier Wände bleibt, aus denen man all diese seltsamen Kreaturen aussperren kann.

Sicherlich sind solche Ärgernisse absehbar, wenn man sich für eine Wohnung in der Innenstadt entscheidet. Es ertragen und den Jahreswechsel erwarten bleiben die beiden Instrumente, die einem nur bleiben. Und offenbar gibt es auch immer noch die Möglichkeit sich einigermaßen ungestört draußen zu bewegen: Der Spaziergang zwischen 1 und 3 Uhr in der Nacht auf den Sonntag war sehr entspannend.

Donnerstag, 28. November 2013

Story: Jahreswechsel

Ein dünnes Lächeln, das gerade eben seine Augen erreichte, erschien auf Lukas' Gesicht, als er die SMS las. Am Rande registrierte er, dass er schon länger nicht mehr ehrlich und tief empfunden gelächelt hatte, die Muskelbewegung seines Gesichtes fühlte sich schon fast ungewohnt an. Offensichtlich war sein langer Brief im weit entfernten München bei seiner Schulfreundin angekommen, die dort seit einigen Jahren studierte. Der Kontakt war mehr oder minder eingeschlafen, was beide bei den seltenen Gelegenheiten der Kommunikation sehr bedauerten. Sie freute sich der SMS nach sehr über den Brief, den er mit Bildern aus der Heimat und amüsanten Anekdoten gefüllt hatte. Immer noch lächelnd tippte Lukas eine Antwort in sein Handy. Im Gegensatz zu ihr war er nicht sonderlich herumgekommen, er wohnte noch immer nur knapp 20 km von seinem Elternhaus entfernt, während sie vor und während ihres Studiums die halbe Welt bereist hatte. Nachdem die kurze und freundliche Antwort verschickt worden war, steckte Lukas seine Hände tief in seine Hosentaschen um sie aufzuwärmen. Der Winter hatte, wenn auch noch nicht dem Kalender nach, Einzug gehalten, ein eisiger Wind wehte durch die Straßen und ging durch Mark und Bein.

Das Ende des Jahres stand bevor, überall tauchten leuchtende Dekorationselemente auf, die Fußgängerzone stand voller Buden, aus denen es abwechselnd nach altem Fett oder Zucker roch und die Menschen rannten umher, als würden sie gejagt werden. In etwas weniger als einem Monat stand Weihnachten ins Haus und wie in jedem Jahr mussten riesige Mengen an Präsenten herangeschafft werden, um alle Familienmitglieder, Freunde und in einigen Fällen wohl auch noch Nachbarn und Haustiere zufrieden zu stellen. Lukas hatte kaum einen Blick für das gestresste Treiben um ihn herum, gedankenverloren und eher instinktiv wich er immer wieder Passanten aus. Auch er suchte etwas, doch war es etwas ganz anderes.

Das Vorhaben stand seit einigen Wochen für ihn fest. Auch über die Zeit war er sich schon sicher, Silvester sollte es passieren, im Idealfall um Mitternacht. Das wo und das wie gestalteten sich allerdings schwieriger. Er hatte schon in der Vergangenheit häufiger über diese Möglichkeit nachgedacht und auch über Methoden es durch zu ziehen. Er wollte, dass es schnell und einigermaßen schmerzlos ginge, was gar nicht so leicht war, wie er durch seine Recherchen erfahren musste.

Aufmerksam blickte er sich auf seinem Weg in der Stadt um, betrachtete nachdenklich und kritisch hohe Gebäude, Brücken und Denkmäler. Die meisten Brücken waren ihm nicht hoch genug, die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges war gering. Hohe Gebäude waren genug vorhanden, doch stellte sich hier die Frage des Zugangs. Er musste bedenken, dass er mitten in der Silvesternacht in das Haus hinein und auf das Dach gelangen musste ohne aufgehalten zu werden. Brücken waren da natürlich einfacher, weil frei zugänglich. Lukas legte seinen Kopf in den Nacken um die Spitze eines Kirchturms zu betrachten. Nun ja, vermutlich nicht praktikabel.

Es fing vor einigen Jahren an, dass Lukas begonnen hatte sich Ultimaten zu setzen. Aus Unzufriedenheit mit seinem Leben, Depression und Furcht vor der Zukunft hatte er oft an speziellen Terminen wie seinem Geburtstag, Silvester, Weihnachten oder ähnlichem mit sich selbst ausgemacht, es in einem Jahr zu tun, wenn er bis dahin sein Leben nicht im Griff hätte. Doch er hatte es niemals umgesetzt, ihn hatte jedes Mal der Mut verlassen... oder hatte er ihn wieder gefunden? In diesem Jahr war es anders. Woran es lag, konnte er nicht sagen, aber es war ihm von einem auf den anderen Moment klar geworden. Er würde es tun, er würde planvoll vorgehen und sich vorbereiten, es konnte nur noch diese Lösung geben.

Auf einer der Brücken, die aus der Innenstadt hinausführten, blieb Lukas stehen und blickte hinab. Die Höhe mochte genügen, das Geländer war kein Hindernis und der Ort war leicht erreichbar. Vermutlich würden an Silvester einige Leute hier sein um das Feuerwerk zu betrachten, selbst Dinge in die Luft zu sprengen oder einfach nur in Gesellschaft den Jahreswechsel zu feiern. Lukas dachte kurz nach, war sich dann aber sicher, dass sie ihn wohl kaum würden aufhalten können, wenn sie es überhaupt bemerkten. Er ließ seinen Blick über die Straße wandern, die sich in einiger Entfernung unter ihm entlang zog und auf der Autos dahin rasten. Der Verkehr würde an Silvester kein Problem sein, die Höhe machte ihn allerdings nun doch skeptisch. Es würde genügen müssen, einen besseren Ort konnte er nicht finden. Kopf voran, dann sollte nichts schiefgehen.

Zum planvollen Vorgehen gehörten auch Gedanken an seine Freunde und Familie. Mit der zweiten hatte er sich bereits vor Jahren zerstritten, doch gab es noch einige Leute, die ihm etwas bedeuteten, und von denen er glaubte, dass er ihnen auch etwas bedeutete. Beinahe hätte er an dieser Stelle seinen Plan wieder verworfen. Nach einigem Nachdenken und Abwägen entschied er sich auch hier für eine methodische Vorgehensweise. Er würde sein Bestes geben um den Menschen, die er mochte, noch ein letztes Mal ein gutes Gefühl zu geben, als vorgezogene Abbitte für seine Tat, als Zeichen der Zuneigung, um sich selbst besser zu fühlen, wie es viele Wohltäter wohl tun. Begonnen hatte er vor zwei Tagen mit dem Brief an seine Schulfreundin, weitere Briefe und Karten hatte er heute in den Briefkasten geworfen, bevor er sich auf die Suche nach dem geeigneten Ort gemacht hatte.

Zurück in seiner kleinen Wohnung ließ Lukas sich in seinen Sessel fallen ohne das Licht einzuschalten. Die Stille war erdrückend und er hielt es nur wenige Minuten aus, dann musste er den Fernseher einschalten. Belangloses Geplapper und Gedudel übertönten seine Gedanken und sorgten für einen Augenblick der Entspannung. Der Moment glitt schnell vorbei und er spürte den Tatendrang in sich. Lukas startete seinen Laptop und rief die Liste auf. Er hatte all jene Personen, denen er noch etwas Gutes tun wollte, zusammengetragen und brütete nun über den Namen. Er hatte noch einiges vor sich.

In den nächsten Tagen war Lukas sehr aktiv. Er kündigte seine Arbeit und verkaufte einen großen Teil seines Besitzes, den er bald ohnehin nicht mehr brauchen würde. Das Geld wollte er verwenden für die vielen kleinen Aktionen, die er für seine Freunde geplant hatte. Pakete mit kleinen Geschenken wurden im nächsten Schritt an verschiedene Orte verschickt, jedes speziell und passend für die jeweilige Person ausgewählt. Lukas verabredete sich an jedem Tag mit jemandem, widmete all seine Zeit den Menschen, die er liebte. Manch einer reagierte überrascht oder verwundert, alle freuten sich über die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wurde. Lukas blühte in diesen Tagen und Wochen förmlich auf und lebte so intensiv, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Er wurde ebenfalls oft eingeladen und verbrachte viel Zeit mit seinen Freunden, doch stets wich er der Frage nach der Silvesterplanung aus und gab vor, bereits etwas anderes geplant zu haben.

Der große Tag rückte näher. Weihnachten kam und ging und plötzlich wachte Lukas auf und es war Silvester. Er blieb an diesem Tag lange im Bett liegen und starrte an die Decke. Nachdem es nun endlich soweit war, fühlte er sich doch wieder unsicher. Sollte er es tatsächlich tun? Der Monat, der hinter ihm lag, war so anders gewesen, als die trüben Tage zuvor, die ihn zu dieser Entscheidung getrieben hatten. Irgendwann ließ er seinen Blick aus dem Fenster hinaus gleiten, sah die graue Wolkendecke und die Regentropfen an der Scheibe. Er kletterte aus dem Bett und bereitete sich für den Tag vor. Draußen hörte er die ersten Feuerwerkskörper, die von Ungeduldigen gezündet wurden.

Der Tag zog sich hin wie Kaugummi, immer wieder schaute Lukas auf die Uhr und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Am frühen Nachmittag verließ er seine Wohnung um einen Stapel mit vorbereiteten Briefen einzuwerfen. Er wollte seine Angelegenheiten geregelt wissen und hatte an all jene Unternehmen und Ämter, die Teil seines Lebens waren, erklärende Briefe und Kündigungen geschrieben, Banken, Versicherungen, Telefongesellschaft,... und er hatte Abschiedsbriefe an seine Freunde vorbereitet, für jeden von ihnen einen einzelnen, individuellen, in dem er sein Verhalten zu erklären versuchte und um Verständnis bat. Die Briefe würden wohl am 2. oder 3. bei den Empfängern eintreffen, Tage nachdem er es getan hatte.

Der Abend brach an. Lukas aß ein wenig, hatte aber eigentlich keinen Hunger mehr. Aus den Häusern und Wohnungen ringsum hörte er Gelächter und Feiern, draußen knallte und blitzte es inzwischen fast ununterbrochen. Die letzten Stunden bis Mitternacht kamen ihm wie die längsten seines Lebens vor. Immer wieder kamen ihm Zweifel, ob er das richtige tat. Doch letztlich war es nun zu spät, er hatte bereits allen mitgeteilt, was er tun würde, ein Rückzieher war nicht mehr möglich. Kurz vor Mitternacht zog er sich an, löschte alle Lichter in der Wohnung und zog alle Elektrogeräte vom Netz ab. Ein Schreiben mit Anweisungen, was mit seinem verbliebenen Besitz zu geschehen habe, legte er gut sichtbar auf den Küchentisch. Sein Handy, seine Uhr und seine Brieftasche legte er daneben, er würde beides nicht mehr brauchen. Er blickte sich noch ein letztes Mal um, verließ dann die Wohnung und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Den Schlüssel ließ er stecken, er würde auch ihn nicht mehr brauchen.

Unten auf der Straße feierten die Menschen den bevorstehenden Jahreswechsel. Der Regen hatte aufgehört und es wäre wohl eine sternenklare Nacht gewesen, wäre die Luft nicht von Raketen und Schwefeldämpfen erfüllt gewesen. Lukas nickte einigen Nachbarn zu und machte sich dann auf den Weg. Er gab sich alle Mühe den Menschen auszuweichen, ganz gelang es ihm nicht, er wurde einige Male von offenbar übermäßig euphorischen Fremden in den Arm genommen und eingeladen mit ihnen zu feiern. Etwas verlegen lehnte er jedes Mal ab und bemühte sich sein Ziel zu erreichen.

Die Brücke war, wie er es erwartet hatte, von einigen Leuten als Aussichtspunkt gewählt worden, doch hielt sich die Menge in Grenzen. Lukas hielt sich von ihnen fern und lehnte sich an das Geländer. Neben all den blitzenden und leuchtenden Farbspielen konnte er den Kirchturm sehen, an dessen Uhr die Zeiger sich nun unaufhaltsam Mitternacht näherten. Nachdenklich schaute er nach unten. Tatsächlich fuhren heute keine Autos und glücklicherweise hielten sich auch keine Menschen dort auf. Es schien alles nach Plan zu verlaufen.

Die Glocke schlug. Es war so weit. Lukas ließ einen langen Blick über das Feuerwerk schweifen, das nun, als das neue Jahr anbrach, noch viel farbenprächtiger und ausgelassener zu werden schien. Er hörte überall die Menschen, die sich in die Arme fielen und sich ein frohes neues Jahr wünschten, als er sich langsam an dem Geländer hochzog. Die Glocke schlug noch mehrmals, der letzte Zweifel regte sich in Lukas' Geist, als er dort stand, unter sich die Leere und der harte Asphalt. Kurz überlegte er wieder herunter zu steigen, da hörte er hinter sich überraschte, erschrockene Stimmen, die sich ihm schnell näherten. Offenbar wollte man ihn von seinem Vorhaben abhalten, die Entscheidung war gefallen. Lukas atmete durch, der letzte Atemzug seines Lebens, dann trat er ins Leere.

In seiner dunklen Wohnung begann sein Handy zu piepen und zu vibrieren, als die Neujahrsgrüße seiner Freunde eingingen.

Freitag, 25. Oktober 2013

Liebe und so

Ich führe seit einiger Zeit mit meiner Partnerin eine offene Beziehung. Für uns bedeutet das, dass jeder von uns auch mit anderen Personen in sexuellen Kontakt treten kann, wenn dies abgesprochen wurde und der Partner nicht von seinem Veto-Recht Gebrauch macht. Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf diese Tatsache. Manch einer heißt dies einfach gut und akzeptiert es, manch einer lehnt es ab und schüttelt nur den Kopf und die meisten sind neugierig, wenn auch skeptisch, und stellen Fragen. Eine der beliebtesten Fragen, die immer wieder kommt, ist hierbei:

Habt ihr keine Angst, dass sich einer von euch dabei verliebt?“

Um genau diese Frage, ihre Implikationen und ihre Beantwortung soll es sich hier drehen. Ich sehe hierbei zwei Ansätze, die ich nacheinander verfolgen will, die aber sicherlich auch ineinander verknüpft sind.

1. Angst führt in den Wahnsinn.
Im Grunde genommen besteht ständig und immer die Gefahr, dass sich ein Mensch (neu) verliebt. Er muss dazu nicht mit jemandem schlafen, vermutlich sind die meisten Menschen schon verliebt, bevor sie sich einem anderen auch körperlich hingeben. Sei es bei einem gemeinsamen Kinobesuch, einem Kaffee, einer Party bei Freunden, einem kurzen Blickkontakt im Bus... selbst bei so etwas kräftezehrenden und unerotischem wie einem Umzug sollen sich bereits Paare kennen und lieben gelernt haben. Die Liebe lauert überall, wenn man also diese Angst empfindet, dass der Partner sich beim Sex mit einer anderen Person in diese vergucken könnte, ist das der erste Schritt auf einer sehr rutschigen Straße von Eifersucht, Unsicherheit und Zweifel, da man ziemlich schnell realisiert, in wie vielen anderen Situationen dies ebenfalls passieren kann. Wenn man nun aber vernünftig und mit klarem Kopf an die Sache herangeht und akzeptiert, dass diese Gefahr ohnehin allgegenwärtig ist, egal was man tut, kann man auch einfach auf die Angst verzichten. Alternativ dürfte man den Partner wohl konsequenterweise nicht mehr allein das Haus verlassen lassen, was wohl in niemandes Sinne ist. Verhalten wir uns also wie vernünftige Erwachsene und erkennen die Irrationalität dieser speziellen Angst.

2. Wäre es denn so schlimm?
Sicherlich kann man auch mit einer Person den Koitus vollziehen, für die man keine tieferen Gefühle als körperliche Anziehungskraft hegt, doch ist das Erlebnis in der Regel intensiver und angenehmer, wenn die Beteiligten sich zumindest sympathisch finden. Dementsprechend ist in den meisten Fällen, in denen man "es" außerhalb seiner Partnerschaft tut, eine gewisse Attraktion zwischen den Handelnden schon vorhanden, die natürlich durch ausgeschüttete Hormone noch verstärkt wird. Man kann eine gewisse „Verknalltheit“ nicht leugnen, die entsteht, wobei hier die zu Beginn des Absatzes gestellte Frage abgewandelt aufgegriffen werden muss: Ist das denn so schlimm? Wenn man ehrlich zu sich selbst ist und in sich geht, taucht dieses Gefühl der Schwärmerei und Verliebtheit doch immer mal wieder auf, auch wenn man seit vielen Jahren glücklich in einer Beziehung zu einem anderen Menschen ist und sich die Gefühle für den Partner nicht verringert haben. Man lernt eine Person kennen, die auf bestimmte Weise die eigenen Interessen oder Meinungen teilt, man hat einen ähnlichen Humor, fühlt sich zu dieser Person hingezogen und schon fühlt man sich wieder wie ein Teenie, der Hals über Kopf verschossen ist. Jetzt kommt allerdings wieder der Part des Erwachsenen, den vermutlich in so einer Situation nicht jeder bewältigen kann, man muss diese Gefühle reflektieren und relativieren können. Ist es das, was ich will, liebe ich meinen Partner nicht mehr, kann ich nur mit dieser neuen Person glücklich sein? Oder ist es einfach nur eine kurzzeitige Schwärmerei, hat sich an den Gefühlen für meinen Partner nichts geändert, will ich überhaupt nichts ändern an der aktuellen Situation? Es geht hierbei nicht darum Gefühle zu unterdrücken, es geht darum Gefühle zu verstehen und mit ihnen umzugehen. Ich gebe zu, dass es in meiner langjährigen Beziehung mehrere Male vorkam, dass ich mich, obwohl ich meine Partnerin liebe und wir wunderbar harmonieren, kurzzeitig in eine andere Person auch ohne Kopulation verguckt habe und lernen musste mit diesen Gefühlen umzugehen. Ich weiß, dass es ihr auch ähnlich ergangen ist. Entscheidend ist eben zu wissen, was man will oder es eben herauszufinden, wenn man unsicher ist.

Beide Punkte haben im Grunde die gleiche Aussage und geben die gleiche Antwort auf die Frage oben:

Wenn man erwachsen und vernünftig damit umgeht, stellt das kein Problem dar.

Ein etwas lockerer Umgang mit der ganzen Thematik wäre wohl oft sinnvoll. Meiner persönlichen Meinung nach sind Menschen ohnehin nicht für die Monogamie geschaffen und durchaus auch in der Lage mehr als eine andere Person wirklich und wahrhaftig zu lieben, wenn sie sich das eingestehen und es zulassen.

Vermutlich wäre die Welt ein noch traurigerer Ort, wenn es nicht so wäre.

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Wahnsinn des Alltags: Baustellen-Opas

Kaum ist an einer Stelle eine Baustelle beliebiger Art errichtet worden, Absperrungen stehen, Männer in oranger Arbeitskleidung schwärmen aus, schwere Maschinen beginnen lärmend ihr Werk – da sind sie auch schon nicht mehr fern, die Baustellen-Opas nähern sich. Ältere Männer finden sich ein, verteilen sich entlang der Absperrungen und beobachten mit strengem Blick und verschränkten Armen die Arbeiten. Je nach den Ausmaßen der Baustelle, Anzahl und Größe der eingesetzten Maschinen und dem Ort, an dem sie errichtet wurde, variiert die Zahl der angelockten Herren. Während bei der Ausbesserung eines kleinen Stückes Gehweg in einem Wohngebiet nur ein einzelner jeden Hammerschwung und jeden neu gelegten Stein sehr genau und kritisch beäugt, kann an anderer Stelle bei größeren Projekten, die den Einsatz von Baggern, Kränen und ähnlichem lautstarken Gerät erfordern, schnell ein halbes Dutzend auftauchen, das sich entlang der Zäune um die Baustelle verteilt.

Der Baustellen-Opa an sich ist dabei eine kommunikative Person. Gerne teilt er den Arbeitern seine eigene Einschätzung oder Erfahrung mit den vorliegenden Aufgaben mit, auch seinesgleichen gegenüber zeigt er sich wortreich und als Experte der Lage. Zufällig vorbei kommende Passanten können sich von Zeit zu Zeit ebenfalls nur schwer den Ausführungen entziehen und müssen sich alle Mühe geben ohne allzu viel Unhöflichkeit den Ort des Geschehens wieder zu verlassen. Seltener finden sich die Ehefrauen der Baustellen-Opas dort ein und starren mit leerem Blick vor sich hin, während ihre Gatten ihre Weisheit zum besten geben. Wahre Liebe oder die Gewöhnung vieler Jahre, und oft ist es schwer das eine vom anderen zu unterscheiden, selbst bei jüngeren Paaren, halten sie vermutlich dort und lassen sie das Gerede ihrer Männer ertragen.

Letztlich wecken die Arbeiten wahrscheinlich Erinnerungen an die eigene Arbeitszeit und Leistungen, in denen die Baustellen-Opas schwelgen bei ihrer Beobachtung. Die Arbeiter, gewöhnt an derlei Zuschauer, gehen stoisch ihren Beschäftigungen nach und auch wenn andere Menschen vermutlich in ihrer Konzentration und Leistungsfähigkeit nachlassen würden, wenn jemand ununterbrochen jeden Schritt und jeden Handgriff beobachtet und auch sofort kritisiert, wenn er nicht den Vorstellungen des Beobachters entspricht, schaffen sie es, unbeeindruckt und unberührt ihre Pflichten zu erfüllen. Niemand wird also geschädigt, abgesehen vielleicht von den erwähnten Passanten und Ehefrauen, doch ist es jedes Mal wieder eine amüsante Sache für das aufmerksame Auge die Baustellen-Opas rund um ein beliebiges Loch im Boden zu zählen.

Sonntag, 4. August 2013

Widersprüche



Der Mensch ist bisweilen ein faszinierend widersprüchliches Wesen. 

Einerseits sehnen wir uns immer wieder nach dem, was wir eigentlich nicht  oder nur unter großen Anstrengungen haben können oder dürfen. Das hat sogar seinen Einzug in die Welt der Sprichworte gefunden, wer hat nicht schon von dem grüneren Gras auf der anderen Seite des Zaunes gehört oder dass etwas, für das man nicht kämpfen muss, sich nicht zu besitzen lohnt? Und wer hat sich nicht schon dabei ertappt, wie er sich über verpasste Gelegenheiten seinem vermeintlichen Ziel näher zu kommen geärgert hätte oder wie eine Person plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses rückt, wenn diese eben nicht mehr verfügbar ist?

Andererseits zaudern wir und sind unentschlossen, fürchten uns vor den Konsequenzen oder den Veränderungen, die notwendigerweise auf dem Weg lauern könnten. Furchtbar bequem ruhen wir uns aus auf dem Erreichten und schrecken zurück davor dieses vielleicht zu verlieren, wenn wir unsere Energien doch der fixen Idee, dem unlogischen Wunschtraum, dem so falschen Begehren und den verwirrenden Emotionen zuwenden. Der Spatz in der Hand sei besser als die Taube auf dem Dach, weiß dann auch der Volksmund zu plappern… welch ein Widerspruch zu dem in uns offenbar verankerten Drang nach dem Neuen und vielleicht besseren.

Man drehe und wende es, wie man wolle, diese sich bekämpfenden Triebe führen oft zu Unzufriedenheit. Komme ich meinem Wunsch nach oder versuche es zumindest, verliere ich am Ende möglicherweise doppelt, sowohl das Ziel der irrationalen Träume als auch alles, was bei dem Versuch geopfert werden muss. Gehe ich den Weg der Sicherheit und des Ablehnens dieser Gefühle, werde ich verbittert und frage mich ständig, was wohl gewesen wäre, wenn ich mir nicht doch einen Ruck gegeben hätte. Eine höchst verfahrene Situation, eine Lose-Lose-Situation, für die es vermutlich keine richtige Lösung gibt. Unzufriedenheit droht jedenfalls immer am Ende, wenn nicht doch ein weiteres Sprichwort uns armen, verwirrten Menschen vielleicht Hoffnung geben könnte: „Das Glück ist mit den Tapferen.“

Dienstag, 2. Juli 2013

Story: "Im Auftrag der Toten"

Dies ist der Bericht eines von mir verkörperten Charakters des letzten Liverollenspiels, auf dem ich war. Da das Spiel mit den anderen in meiner Gruppe sehr schön war, wollte ich es einmal niederschreiben, was passiert ist, aus der Sicht des erwähnten Charakters, auch wenn er am Ende das Zeitliche gesegnet hat.

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Wie kam es nur dazu? Was hatten wir erwartet, wie es ausgeht? Wäre auch ein anderes Ende möglich gewesen, hätte die Macht des falschen Königs gebrochen werden können? Vielleicht... doch ich sollte am Anfang beginnen.

Die Baroness hatte mich zu sich gerufen von seltsamen Träumen und Stimmen geplagt, die ihr seit Wochen den Schlaf raubten. Doch so müde sie auch wirkte, sah ich doch zum ersten Male seit beinahe einem Jahrzehnt wieder ein dünnes Lächeln auf ihrem Gesicht, in ihren Augen glitzerte Hoffnung, die sie eigentlich schon lange begraben hatte. Ihren Verlobten hatte sie im Schlafe gesehen, er habe sie angesprochen und habe ihr mitgeteilt, es gäbe eine Möglichkeit für ihn zurück zu kehren aus dem Dunkel des Todes. Zweifelnd sah ich sie an, sie muss diesen unausgesprochenen Zweifel erkannt haben, bemühte sie sich doch die Glaubwürdigkeit ihrer Visionen deutlich zu machen. Ich konnte es kaum glauben und wollte es doch, zerriss es mir doch jedes Mal aufs Neue das Herz, wenn ich sie still weinen und trauern sah. Zwar hielt ich diese ganze Geschichte für suspekt und seltsam, dennoch erklärte ich mich dazu bereit mit zwei weiteren Getreuen der Anleitung der Stimme zu folgen und dem verstorbenen Geliebten meiner Herrin zur Hilfe zu eilen, auch wenn dies möglicherweise eine Falle war und unser Ende bedeuten würde. Meine Erinnerungen an den Weg zur angegebenen Stelle sind verschwommen und werden immer undeutlicher. Schon seltsam, wie mein eigenes Leben in der weltlichen, der mundanen Sphäre in immer weitere Ferne rückt und ich Mühe habe, mich an das Gesicht der Baroness zu erinnern, die uns zum Abschied von den Zinnen der Burg zuwinkte...

Dunkelheit. Dunkelheit und eine Stimme. Das war es, was ich beim Übergang erlebte. Eine kriecherische Stimme, die offenbar die Mächte der Verderbnis anrief, voller Entsetzen fand ich mich in einem rituellen Achtstern wieder, als die Dunkelheit wich, ein widerlicher kleiner Mann spie allerlei Beschwörungsformeln und Flüche gegen die guten Götter hervor, ringsum erkannte ich meine Begleiter und andere, die ich nicht kannte und die aus fernen Ländern zu stammen schienen. Die Landschaft sah aus wie ein normaler Wald und dennoch... genauere Blicke offenbarten Unterschiede, die Art der Bäume hatte ich noch nie gesehen, alles wirkte auf seltsame Weise künstlich. Das Gefasel des Kultisten endete und er führte uns, die wir noch ganz perplex und verwirrt vom Übergang an diesen Ort, „irgendwo im Inferno“, wie uns unser abscheulicher Ortskundiger mitteilte, an den Hof finsterster Kreaturen, deren Beschreibung allein eine Gefahr für das Seelenheil unbescholtener Menschen darstellen würde. Und dort sahen wir ihn... er war es tatsächlich, der Verlobte meiner Herrin stand vor uns, sprach und war offenbar überrascht uns zu sehen. Wie es zu erwarten war, die ganze Sache war eine Falle der anwesenden dämonischen Wesenheiten.

Was hätten wir tun sollen, wie hätten wir uns verhalten sollen? Der Wille zum Widerstand war vorhanden bei uns, die wir doch lebendig an diesen Ort des Schreckens gekommen waren, doch wir sahen, wie die versammelten Toten, die durch die Macht unseres unmenschlichen Gastgebers wieder Körper und Verstand an diesem Ort erhalten hatten, vor jenem das Haupt beugten und sich auf alles einließen, was er ihnen mit vor Lug und Trug triefender Stimmer versprach. Zurück ins Leben wollte er jene bringen, die sich in den Spielen, die er veranstalten wollte, durchsetzten. Selbst unser Herr, zu dessen Unterstützung wir hergeeilt waren, schien sich auf diesen schändlichen Handel ein zu lassen, auch wenn wir ihn warnten und anflehten, den grausamen Anhängern des Weltenvernichters nicht zu glauben.

Hatte ich dafür 5 Jahre lang im Krieg gekämpft gegen jene, die uns nun als ihre „Gäste“ zu allerlei Schandtaten und auch zur Zwietracht untereinander anhielten? Immer furchtbarer wurden die Spiele, die abgehalten wurde, so gut wir es konnten, entzogen wir uns, ungläubig mussten wir jedoch mit ansehen, wie unser Herr offenbar bereit war, den gleichen Weg wie jene schwachen Seelen einzuschlagen, die all jene Abscheulichkeiten mitmachten nur für die trügerische Hoffnung auf eine Rückkehr ins körperliche Leben.

Dann holten sie ihn zu sich, drohten ihn zu opfern, ihm den Kopf abzuschlagen und diesen buchstäblich als Spielball zu benutzen. Starr vor Schrecken betrachteten wir die Szene, sie wollten ihn zwingen einen anderen der Anwesenden zu benennen, auf das sie ihm diese schreckliche Schändung des Körpers antun könnten. Doch der Herr blieb standhaft und mit ruhiger Stimme teilte er den geifernden Dämonen und dem restlichen Abschaum mit, dass, wenn sie denn jemanden quälen und opfern wollten, sie ihn nehmen sollten, damit niemand anders dieses Schicksal zu erleiden hätte. Wir, die wir gekommen waren, ihn zu retten, traten vor um unsere eigenen Köpfe an seiner statt anzubieten, was unseren Herrn mit Schrecken erfüllte, wollte er doch nicht, dass jemand für ihn stürbe. Doch die wankelmütigen Dämonen hatten sich längst für einen anderen entschieden, den sie quälen und töten könnten und schickten uns alle wieder weg aus ihrem Thronsaal. Erschüttert, aber noch nicht gänzlich überzeugt, wollte unser Herr weiter an den Spielen teilnehmen.

Doch dazu sollte es nicht kommen, denn an seiner statt wurde der Oger in den Thronsaal geschleppt und auf den schwarzen Opfertisch in der Mitte des Raumes gebunden. Ich kann nur vermuten, was sie ihm bereits alles angetan hatten, als sie nach unserer Heilerin schicken ließen, die die bedauernswerte Kreatur wieder stabilisieren sollte, damit sie weiter ihre Greueltaten an ihr verüben konnten. Ich versuche das Bild aus meinem Kopf zu vertreiben, doch es gelingt mir nicht, ich kann nicht vergessen, wie die Dämonen und ihr menschliches Gefolge ringsum lachten und sich amüsierten über die Qualen, die dem Oger zugefügt wurden, wie er schrie und litt, wie die beiden abscheulichen Kreaturen, die ihn folterten, mit kalter Stimme den Zuschauern beschrieben, was sie ihm antaten. Noch schlimmer waren jedoch die Teilnehmer der Spiele, die Toten, die offenbar inzwischen Gefallen an dem Treiben der Dämonen gefunden hatten und ebenfalls voll perverser Freude zusahen, wie das Blut floss. Angewidert wollte ich mich abwenden, doch ich konnte es nicht, musste die Szene mit versteinerter Miene beobachten. Der Heilerin gebührt alles Lob ob ihres Mutes: Anstatt zu tun, weshalb man sie gerufen hatte und die Wunden zu versorgen, sorgte sie heimlich für das Ableben des Ogers. Während die Dämonen sich noch über seinen Tod ärgerten und die Leiche weiter verunstalteten, führte ich sie, über deren Wange die Tränen liefen, schnell aus dem Raum und zurück zu unserem Herrn.

Er hörte sich erschüttert unseren Bericht an, selbst jene, die bei ihm saßen, verstummten. Einige Zeit schwieg unser Herr, dann nickte er, sah uns an und sagte uns, dass wir recht hätten, es könne keinerlei Kooperation mit den Mächten der Verderbnis geben und er dankte uns dafür, dass wir ihn wieder auf den richtigen Weg zurück geführt hätten. Er schien vor unseren Augen zu wachsen, während er sprach und klar stellte, dass der Zweck niemals die Mittel heiligen könne und dass wir fortan an keinem der Spielchen der Kreaturen mehr teilnehmen würden. Zudem gelobte er alles zu tun um ihre Pläne zu vereiteln oder bei dem Versuch zu sterben. Ich musste schlucken, war mir doch in diesem Moment endgültig klar, dass weder er noch wir jemals wieder lebendig zu seiner Verlobten in die mundane Sphäre zurückkehren würden. Ich versuchte mich an ihr Lächeln beim Abschied zu dieser Mission zu erinnern, doch es gelang mir nicht, schon da war meine Erinnerung an mein Leben getrübt.

Vorbereitungen wurden getroffen. Verbündete wurden gesucht. Pläne wurden gemacht. Doch sollte es alles anders kommen... den entscheidenden Moment verpassten wir. Jener, der den Schlag gegen die Dämonen beginnen sollte, war zu sehr an seiner eigenen, kleinen Existenz und seinen eigenen, kleinen Plänen interessiert und ließ uns im Stich um doch wieder nach den Regeln der Kreaturen zu handeln. Tatenlos mussten wir mit ansehen, wie die Ereignisse im Thronsaal sich überschlugen und wie der falsche König auf schändliche Weise über seine Feinde unter den anderen Kreaturen triumphierte. Hätten wir nun doch nicht handeln sollen? Hätten wir unser Knie beugen sollen vor den dämonischen Mächten und all das verraten, wofür wir gekämpft hatten, im Leben und auch im Tod? Niemals!

Als unser Herr seine Klinge zog, war unser Schicksal, unser Tod eigentlich bereits beschlossen. Dennoch folgten wir ihm mit erhobenen Waffen, als er im Namen des wahren Königs, „für König Warnulf Torwendil!“, seinen Schlachtruf erschallen ließ und sich auf die Geschöpfe des Feindes warf. Ich sah tapfere und gute Menschen fallen unter den Hieben und Klingen der Kreaturen und ihrer menschlichen Diener, ich sah verzweifelten Mut, als unsere Heilerin, die kaum ihr Schwert heben konnte, die Wachen des falschen Königs attackierte und während ich mein bestes tat um meine eigene Haut ebenfalls so teuer wie möglich zu verkaufen, spürte ich die Hand der Frau des falschen Königs auf meiner Schulter. Selbst durch meine Rüstung hindurch fühlte ich die Kälte ihres Griffes, ich hörte gezischte Worte in einer Hexensprache, die ich nicht verstand, dann trübte sich mein Blick, mein Körper wurde unbeweglich und verwandelte sich binnen Sekunden in festen, harten Stein.

Das letzte, was ich sah, war mein Herr, der sich gegen zwei Angreifer zur Wehr setzte und blutüberströmt zusammenbrach. Dann wurden auch meine Augen zu Stein und ich sah und fühlte nichts mehr.

Eine Rückkehr gibt es nicht, weder für mich noch für einen meiner Begleiter oder für unseren Herrn, für den wir das ganze getan haben. Dennoch... bin ich nicht von Trauer erfüllt. Wir haben getan, was getan werden musste, auch wenn es unser eigenes Leben gekostet hat. Wir haben uns den Dämonen der Verderbnis entgegen gestellt und uns ihren Spielchen widersetzt, auch wenn wir sie nicht verhindern konnten. Auch wenn unsere Körper vernichtet, unsere Seelen verloren sind... wir haben uns nicht von ihnen korrumpieren lassen. Niemals hätten wir seiner Verlobten, seinen Freunden oder seinem Vater ins Antlitz blicken können, wäre er zu dem Preis, den die Kreaturen der Verderbnis forderten, ins Leben zurück gekehrt.

Ich weiß nicht, warum ich das erzähle. Ich weiß nicht, wem ich das erzähle. Ich denke nur, so lange mein Geist noch dazu fähig ist zu denken, dass es erzählt werden muss, auf dass es nicht in Vergessenheit gerate und auf dass sich irgendwann vielleicht jemand daran erinnere. Möge es nicht vergessen werden.

Sonntag, 16. Juni 2013

Hoffnungsvolle Tage




Ich hatte auf einen erfreulichen und angenehmen Tag gehofft. Aber, wie uns die höchst bösartige, fantastische Welt eines bekannten Tabletop- und Rollenspieles lehrt, „Hoffnung ist der erste Schritt auf der Straße zur Enttäuschung“. Wie ist es dazu gekommen, dass meine Laune von leicht euphorisch und positiv auf wütend und frustriert umschwenken konnte? Wäre die arme, alte Frau, deren Koffer ich heute Morgen hilfsbereit am Bahnhof die Treppe herunter getragen habe, am Abend auf der Rückfahrt wieder erschienen, der Sinn hätte mir eher danach gestanden, ihr Gepäck auf die Schienen zu werfen. Ihr Wunsch nach einem schönen Sonntag hat sich jedenfalls nicht erfüllt. Doch meistens hilft es ja, die Gedanken einmal nieder zu schreiben und zu ordnen, somit sollen zunächst einmal jene Dinge, die für den Stimmungswechsel gesorgt haben, notiert werden:


1.       Die Laune meiner Begleitung. Sicherlich ist es sehr unfair von mir, bin ich doch normalerweise der mürrische und schlecht gelaunte, der ertragen und aufgeheitert werden muss, doch macht es diese Tatsache nicht unbedingt einfacher. Schlechte Stimmung ist ansteckend und kann einen Menschen schon runter ziehen, auch wenn man sich ausnahmsweise Mühe gibt, die Dinge positiv zu sehen. So wurde es dann auch immer anstrengender optimistisch an die Ereignisse heran zu gehen, bis dann irgendwann der „normale“, grummelnde Zustand erreicht war und sich wieder fest setzte.

2.       Der realistische Blick auf die Veranstaltung im Allgemeinen und das Projekt im Speziellen. Alle guten Hoffnungen nützen nichts, wenn sie sich nicht erfüllen. Letztlich kann man nur sagen, dass es schlecht organisiert war, dass der Begriff „repräsentativ“ ungenügend umgesetzt wurde und dass das Verhalten vieler Teilnehmer unterirdisch war. Wie üblich wurden die großen Reden im Vorfeld durch die Taten ad absurdum geführt, stattdessen hat sich die Masse keine oder kaum Mühe gegeben und nur auf freien Eintritt spekuliert.

3.       Das mangelhafte eigene Zeitmanagement. Mehr Zeit verbringen mit speziellen Menschen, das war eigentlich ein Teil der persönlichen Tagesplanung. Es kam nicht dazu, weil man sich an verschiedenen Orten der Veranstaltung aufhielt, weil ich damit beschäftigt war, den jämmerlichen Aufbau und die Ausstattung vor den Elementen zu schützen und mich zu langweilen, weil ich offensichtlich unnötigerweise eine gewisse Verantwortung für die Sache verspürte, die mich davon abhielt zu tun, wonach mir der Sinn stand. So blieb es dann bei einem „Hallo“ und einem „Auf Wiedersehen“.


Letztlich sind dies, wenn man das Ganze auf den Kern herunter bricht, die Gründe für die Missstimmung. Und letztlich sind sie, bis auf den ersten, der seinen Ursprung zu einem großen Teil auch im zweiten hatte, genau so eingetreten, wie es zu befürchten war. Im Grunde kann man sagen, dass die eigenen Erwartungen zu hoch gesetzt waren und dass zu viel Einsatz für eine von vorn herein verlorene Sache gezeigt wurde. Da diese Ereignisse nun der Vergangenheit angehören, hilft es auch wenig, sich weiter darüber zu ärgern, jedoch kann man vielleicht daraus etwas lernen, sind doch eigentlich alle diese Ursachen meine eigene Schuld, da ich mich von ihnen in meiner Stimmung beeinflussen ließ.

Welche Lehren ziehe ich nun also? Ich ordne sie den jeweiligen Problematiken zu.


1.       Die Erfahrung, wie es sich auf der anderen Seite anfühlt, ist erhellend. Ich werde mich bemühen in Zukunft in meinen eigenen schlechten Stimmungen weniger abfärbend zu sein, als ich es in der Vergangenheit war. Das ist eine schwer umzusetzende Lektion, denn gerade in solchen Situationen ist es nicht leicht, sich so weit zu kontrollieren.

2.       Die Frage, die ich mir stellen muss, nachdem so langsam etwas Ruhe in meinem Kopf einkehrt: „Was habe ich denn erwartet?“ Letztlich war das Ergebnis, sicher nicht in allen Details, aber im Großen und Ganzen, genau so, wie es ein nüchtern denkender Geist vor der Veranstaltung vorhersehen konnte. Die Erwartungen zurückschrauben, Dinge, die wichtig sind, entweder auf die eigene Agenda schreiben oder sich möglichst ganz raus ziehen, die persönlichen Pläne im Zweifelsfall höher priorisieren, als die von anderen und die Veranstaltung nach der diesjährigen Bilanz im nächsten Jahr anders angehen… all das sind Lektionen, die aus dem Desaster gezogen werden können. Das ist es, was als Konsequenz aus dem realistischen Blick gezogen wird.

3.       Auch hier bleibt die Frage nach den eigenen Erwartungen, denn im Grunde genommen war es auf dieser Veranstaltung in all den Jahren kaum anders. Vermutlich besteht der Frustfaktor hier auch einfach darin, dass nun insgesamt die letzten  drei Treffen nach einem ähnlichen, kurzen und oberflächlichen Muster abliefen, was jedes Mal den Umständen geschuldet war. Man kann versuchen gegen zu steuern um die eigene Unzufriedenheit zu senken. Eine Abhilfe wäre es mehr reale Zeit miteinander zu verbringen, was bei den aktuellen Terminkalendern zwar schwer umsetzbar sein mag, aber dennoch in Angriff genommen werden muss. Tu es oder tu es nicht… und so weiter.

Alle diese Konklusionen aus dem Erlebten sind sicher nicht einfach um zu setzen, doch ist der erste Schritt, die Erkenntnis, wie es besser gehen kann, immerhin schon getan. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Immerhin ist es tatsächlich so, das Niederschreiben dieser Dinge und Gedanken hat für Ruhe und etwas mehr Ordnung in meinem Kopf gesorgt. Das ist doch schon etwas.