Dienstag, 15. Dezember 2015

Gedanken vor dem Schlafengehen

„Solange ein Mensch in unseren Erinnerungen weiterlebt, ist er nicht wirklich tot.“

Diesen Satz hörte ich das erste Mal mit etwa 10 Jahren und, entgegen seiner wohl tröstlichen Intention, er entsetzte mich und nahm meinem kindlichen Ich keinesfalls wie gewünscht die Angst vor dem Tod. Denn ich betrachtete die Sache nüchtern: Wie lange erinnert man sich schon an einen Verstorbenen, wer bewahrt diese Erinnerung und wann ist sie endgültig verschwunden? Freunde, Nachkommen, Familienmitglieder mögen die Person in diesem Zustand der gedanklichen Existenz bewahren, doch irgendwann gehen auch sie den Weg allen Irdischen. Ich rechnete mir aus, dass dieses Leben in der Erinnerung spätestens nach einer oder zwei Generationen ebenso beendet sein würde wie das körperliche. Dieser Hauch von Unsterblichkeit, den die Person, ich weiß nicht einmal mehr, wer es war, durch diesen Satz vermitteln wollte, wurde davon geweht durch meinen präpubertären Pragmatismus.
Damals erkannte ich, dass es nur verschwindend wenigen Menschen möglich ist, auf diese Art langfristiger weiter zu leben. Namen aus dem Geschichtsunterricht geisterten mir durch den Kopf, Personen, die vor Jahrhunderten gelebt und gestorben waren, deren Werk oder Einfluss aber bis heute nachwirkt. Künstler, Denker, Anführer – dies waren die Menschen der Ewigkeit für mich. Und voll Naivität und ohne einen wirklichen Begriff von Leben und Vergehen zu haben, dachte ich in stillen Momenten, dass auch ich auf diese Art ewig sein wollte. Dass man sich an mich erinnern sollte, auch wenn man mich nicht gekannt hatte. Die Vorstellung einfach vergessen zu werden, als hätte ich niemals existiert, war mir unerträglich und sorgte für einige schlaflose Nächte, in denen ich versuchte mir auszumalen, wie es wohl wäre, nicht mehr zu sein.
Inzwischen bin ich erwachsen und dieser kindliche Wunsch und Tatendrang sind erloschen gemeinsam mit der Angst davor vergessen zu werden – meistens. Irgendwo schlummert noch immer der Drang, die Begierde etwas Großes zu schaffen, doch müde und abgestumpft, wie ich bin, erkenne ich, dass dies nur verletzte Eitelkeit und Träumerei ist. Der Wille mag nach wie vor in verstümmelter Form da sein, doch habe ich inzwischen eine realistischere, nicht mehr kindlich verzerrte Sicht meiner unzureichenden Fähigkeiten.
Manche erkämpfen sich eben die Unsterblichkeit – doch die meisten von uns werden vom Lauf der Zeit hinweg gefegt.

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