Dienstag, 11. November 2014

Hello, darkness, my old friend...

Dies ist eine Liebeserklärung an die Dunkelheit der Nacht, meine liebste Tageszeit.

Wir Menschen verspüren eigentlich instinktmäßig Furcht oder zumindest Unbehagen vor der Dunkelheit. Dies hat vermutlich evolutionäre Gründe, das wird landläufig so jedenfalls behauptet. Wenn die Sonne untergegangen ist, werden unsere Augen, unsere wichtigste Orientierungshilfe, nahezu nutzlos, was unser kleines, paranoides Primatenhirn in Panik versetzt, da es Feinde nun nicht mehr so einfach wahrnehmen kann, bevor es möglicherweise zu spät ist. Dies ist die einfache, laienhafte Erklärung.

Und diese Angst wird auch in unserer modernen Zivilisation fleißig weitergetragen. Wir warnen uns gegenseitig davor nachts das Haus zu verlassen, denn böse Menschen lauern im Dunkeln – natürlich kennen auch die bösen Menschen diese Geschichten und werden vermutlich nicht nachts hinter Bäumen auf ihre Opfer lauern, da ihnen bewusst sein sollte, dass diese Opfer ängstlich in ihren Häusern hocken. Die wirklich bösen Menschen begehen ihre Taten im hellen Licht, wo alle sie sehen können. Straßenlaternen machen in modernen Metropolen die Nacht zum Tag, Lampen in jedem Raum des Hauses sperren die Dunkelheit aus, Scheinwerfer sorgen für Sicherheit an Autos und Grundbesitz.

Kindern wird früh eingeimpft, dass die Finsternis gefährlich ist. Im zarten Alter von vier Jahren erzählte mir meine Großmutter die liebevolle Mär vom kinderfressenden, alten Schuster, der in ihrem dunklen Keller hauste. Wahrscheinlich sollte diese Geschichte nur verhindern, dass ich die steile Kellertreppe hinabstürzte, sie machte jedoch nachhaltigen Eindruck auf meine formbare Seele. Erst mit etwa 25 Jahren habe ich das erste Mal den großelterlichen Keller betreten und festgestellt, dass er weder so „duster“ wie behauptet war, noch dass dort jemand Schuhe reparierte oder anfertigte. Und dennoch ertappte ich mich auch nach dieser Klarstellung der Verhältnisse immer mal wieder dabei, dass ich beim Verlassen von Kellerräumen meinen Gang beschleunigte und es vermied über die Schulter zu blicken um keine wertvolle Zeit zu verschwenden beim Entkommen vor etwaigen Verfolgern.

Aber wie weit entfernt von dieser urzeitlichen Angst ist doch die Wahrheit. Ein Spaziergang allein durch die nächtliche Stadt ist so wunderbar geeignet um zur Ruhe zu kommen und den Alltagsstress auf einfachste Weise loszuwerden. Wo soll man beginnen?
Die Wahrnehmung ist eine andere als bei Tageslicht. Auch wenn in unseren Städten überall Laternen die Straßen erleuchten, ist doch die Dunkelheit allgegenwärtig. Der Gesichtssinn nimmt quasi zwangsweise eine Auszeit und kann sich von den Strapazen des Tages erholen.
Das gleiche gilt für das Gehör, denn die Geräuschkulisse des Tages verschwindet fast vollständig. Wie angenehm ist es für die geschundenen Ohren, die Stunden zuvor Verkehrslärm, Musik, Handys und die Stimmen so vieler Menschen ertragen mussten, streckenweise nur das Geräusch der eigenen Schritte und das Surren der Laternen hören zu können. In unserer niemals schweigenden Welt kommt dies der Stille wohl am nächsten.
Selbst Tast- und Geruchssinn werden auf neue Art stimuliert. Aufgrund der eingeschränkten visuellen Wahrnehmung fühlt sich der Bodengrund ganz anders und unbekannt an, das richtige Schuhwerk vorausgesetzt, die kühlere Luft auf der Haut erinnert an ein sanftes, beruhigendes Streicheln. Und die Nacht hat ihren eigenen Geruch, der sich von dem des Tages unterscheidet, feuchter, erdiger, aufregender.

Wie kann man es nicht lieben allein durch die dunkle Nacht zu streifen und all diese veränderten Sinneswahrnehmungen, die unendliche Weite der Sterne über sich und die göttliche Stille um sich herum einfach nur auf sich wirken zu lassen? Wenn dann noch der Mond alles in ein gespenstisches Licht taucht, wenn der Alltag in den Hintergrund tritt, wenn man sich von Einsamkeit und Finsternis durchdringen lässt, kann man endlich Frieden und Ruhe empfinden.

Es gibt viele Menschen, die dies nicht verstehen. Sie vermuten ein Problem, wenn jemand mitten in der Nacht ohne ein konkretes Ziel und ohne Begleitung das Haus verlässt um einige Stunden spazieren zu gehen. Wie weit entfernt sie doch von der Wahrheit sind. Es gibt kaum einen Moment, in dem es mir besser geht.


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