Dies ist eine Liebeserklärung an die
Dunkelheit der Nacht, meine liebste Tageszeit.
Wir Menschen verspüren eigentlich
instinktmäßig Furcht oder zumindest Unbehagen vor der Dunkelheit.
Dies hat vermutlich evolutionäre Gründe, das wird landläufig so
jedenfalls behauptet. Wenn die Sonne untergegangen ist, werden unsere
Augen, unsere wichtigste Orientierungshilfe, nahezu nutzlos, was
unser kleines, paranoides Primatenhirn in Panik versetzt, da es
Feinde nun nicht mehr so einfach wahrnehmen kann, bevor es
möglicherweise zu spät ist. Dies ist die einfache, laienhafte
Erklärung.
Und diese Angst wird auch in unserer
modernen Zivilisation fleißig weitergetragen. Wir warnen uns
gegenseitig davor nachts das Haus zu verlassen, denn böse Menschen
lauern im Dunkeln – natürlich kennen auch die bösen Menschen
diese Geschichten und werden vermutlich nicht nachts hinter Bäumen
auf ihre Opfer lauern, da ihnen bewusst sein sollte, dass diese Opfer
ängstlich in ihren Häusern hocken. Die wirklich bösen Menschen
begehen ihre Taten im hellen Licht, wo alle sie sehen können.
Straßenlaternen machen in modernen Metropolen die Nacht zum Tag,
Lampen in jedem Raum des Hauses sperren die Dunkelheit aus,
Scheinwerfer sorgen für Sicherheit an Autos und Grundbesitz.
Kindern wird früh eingeimpft, dass die
Finsternis gefährlich ist. Im zarten Alter von vier Jahren erzählte
mir meine Großmutter die liebevolle Mär vom kinderfressenden, alten
Schuster, der in ihrem dunklen Keller hauste. Wahrscheinlich sollte
diese Geschichte nur verhindern, dass ich die steile Kellertreppe
hinabstürzte, sie machte jedoch nachhaltigen Eindruck auf meine
formbare Seele. Erst mit etwa 25 Jahren habe ich das erste Mal den
großelterlichen Keller betreten und festgestellt, dass er weder so
„duster“ wie behauptet war, noch dass dort jemand Schuhe
reparierte oder anfertigte. Und dennoch ertappte ich mich auch nach
dieser Klarstellung der Verhältnisse immer mal wieder dabei, dass
ich beim Verlassen von Kellerräumen meinen Gang beschleunigte und es
vermied über die Schulter zu blicken um keine wertvolle Zeit zu
verschwenden beim Entkommen vor etwaigen Verfolgern.
Aber wie weit entfernt von dieser
urzeitlichen Angst ist doch die Wahrheit. Ein Spaziergang allein
durch die nächtliche Stadt ist so wunderbar geeignet um zur Ruhe zu
kommen und den Alltagsstress auf einfachste Weise loszuwerden. Wo
soll man beginnen?
Die Wahrnehmung ist eine andere als bei
Tageslicht. Auch wenn in unseren Städten überall Laternen die
Straßen erleuchten, ist doch die Dunkelheit allgegenwärtig. Der
Gesichtssinn nimmt quasi zwangsweise eine Auszeit und kann sich von
den Strapazen des Tages erholen.
Das gleiche gilt für das Gehör, denn
die Geräuschkulisse des Tages verschwindet fast vollständig. Wie
angenehm ist es für die geschundenen Ohren, die Stunden zuvor
Verkehrslärm, Musik, Handys und die Stimmen so vieler Menschen
ertragen mussten, streckenweise nur das Geräusch der eigenen
Schritte und das Surren der Laternen hören zu können. In unserer
niemals schweigenden Welt kommt dies der Stille wohl am nächsten.
Selbst Tast- und Geruchssinn werden auf
neue Art stimuliert. Aufgrund der eingeschränkten visuellen
Wahrnehmung fühlt sich der Bodengrund ganz anders und unbekannt an,
das richtige Schuhwerk vorausgesetzt, die kühlere Luft auf der Haut
erinnert an ein sanftes, beruhigendes Streicheln. Und die Nacht hat
ihren eigenen Geruch, der sich von dem des Tages unterscheidet,
feuchter, erdiger, aufregender.
Wie kann man es nicht lieben allein
durch die dunkle Nacht zu streifen und all diese veränderten
Sinneswahrnehmungen, die unendliche Weite der Sterne über sich und
die göttliche Stille um sich herum einfach nur auf sich wirken zu
lassen? Wenn dann noch der Mond alles in ein gespenstisches Licht
taucht, wenn der Alltag in den Hintergrund tritt, wenn man sich von
Einsamkeit und Finsternis durchdringen lässt, kann man endlich
Frieden und Ruhe empfinden.
Es gibt viele Menschen, die dies nicht
verstehen. Sie vermuten ein Problem, wenn jemand mitten in der Nacht
ohne ein konkretes Ziel und ohne Begleitung das Haus verlässt um
einige Stunden spazieren zu gehen. Wie weit entfernt sie doch von der
Wahrheit sind. Es gibt kaum einen Moment, in dem es mir besser geht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen