Sonntag, 16. November 2014

Meine Geschichte

Vor einigen Tagen stolperte ich im sozialen Netzwerk über diesen Link. Ich finde den Ansatz sehr spannend und beeindruckend. Kurz zusammengefasst geht es darum, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen ihre Geschichte erzählen und mit der Welt teilen sollten, nicht um Aufmerksamkeit für sich selbst zu generieren, sondern um zu zeigen, dass es keine Schande ist, kein Stigma bedeutet mit einer solchen Problematik zu leben. Viele Menschen haben ähnliche Erfahrungen gemacht und oft genug wird ihre Krankheit von ihrer Umgebung nicht erkannt oder verharmlost. Für mich war bei der Lektüre des Textes neu und erschreckend, dass die Anzahl der jährlichen Toten durch Suizid die Zahl derer, die durch Kriege und Tötungsdelikte zusammengefasst sterben, übersteigt – wenn man das ein wenig sacken lässt, ist es aber leider nicht mehr so überraschend. Vielleicht liege ich vollkommen falsch, wenn ich diesem Text zustimme. Vielleicht wirkt es alles weinerlich und schwach, dass ich mir Gedanken darüber mache. Aber vielleicht, nur vielleicht, ist es auch richtig offener mit psychischen Erkrankungen umzugehen. Vielleicht hilft es Betroffenen, die dies aus verschiedenen Gründen nicht können, sich auch zu offenbaren und Hilfe zu suchen. In diesem Sinne folgt dann nun an dieser Stelle meine Geschichte.

Ich habe Depressionen und soziale Phobien/Angststörungen. Ich habe die Symptome sehr lange nicht zuordnen können, bis es irgendwann nicht mehr ging. Ich habe mich immer mehr zurückgezogen, habe soziale Kontakte gemieden, war schlecht gelaunt und unfair zu anderen Menschen. Ich hatte Probleme aus dem Bett zu kommen und mich überhaupt zu irgendetwas aufzuraffen, ich fühlte mich körperlich schwach und ausgelaugt, obwohl ich in den schlimmen Phasen eigentlich gar nichts gemacht habe. Dazu kam dann noch eine „Traurigkeit“ (in Ermangelung eines besseren Begriffs), die ständig da war und für die es eigentlich keine Gründe gab. Am schwersten fällt es mir stets über meine Suizidgedanken zu reden, da ich mich für diese schäme – aber eingangs habe ich ja formuliert, dass Scham nicht angebracht ist. Ich hatte diese Gedanken sehr oft und habe oft Pläne und Möglichkeiten für einen Selbstmord abgewogen. Einen Versuch habe ich niemals unternommen, die Auswirkungen auf die Leben anderer haben mich davon abgehalten – und, auch wenn es böse klingt, die Angst, dass es nicht klappt und dass ich im Krankenhaus „aufwache“. Soviel zur Depression.

Dazu kommen dann noch die genannten Angstsituationen. Ich war noch nie ein sonderlich geselliger Typ, aber das konnte sich offensichtlich noch steigern. Ich hatte Angst davor mit mir unbekannten Menschen zu reden oder auf eine beliebige Art zu interagieren, irgendwann griff das sogar auf meinen Bekanntenkreis über. Man kann sich vorstellen, dass das doch recht einschränkend für das tägliche Leben ist. In der späteren Therapie wurde es formuliert als „Angst nicht zu genügen“, und das trifft es ganz gut. Ich hatte und habe noch immer Angst, dass Menschen meine Unzulänglichkeiten erkennen könnten und mich deshalb zurückweisen. Das führte dazu, dass ich Jobs verlor, mich von Freunden zurückzog und öffentliche Situationen immer mehr mied. Selbst in diesem Moment, in dem ich diesen Text schreibe, habe ich Angst, dass er nicht ausreichend sein könnte. Vielleicht sind meine Formulierungen, meine Worte, mein Schreibstil unverständlich oder schlecht, vielleicht sind meine beschriebenen Probleme so unerheblich und uninteressant, dass die Arbeit sie niederzuschreiben völlig verschwendete Zeit ist – es ist ein ewiger Kampf.

Ich habe mir Hilfe gesucht. Zunächst über meinen Hausarzt, der überraschend verständnisvoll reagierte und sich sehr viel Zeit für mich nahm, obwohl er sonst sehr kurz angebunden ist. Dann, als die Gespräche mit ihm nicht mehr weiter halfen und ich keine medikamentöse Behandlung wollte, habe ich eine Therapie begonnen. Es ist schwer einen Therapieplatz zu finden, auch wenn man keine Angst davor hat zu telefonieren und dann mit jemandem sprechen zu müssen. Viele Menschen suchen anscheinend einen und die Wartelisten sind entsprechend lang. Das mag auf den ersten Blick ernüchternd und demotivierend sein, jedoch kann man auch hier sehen: Du bist nicht allein, viele Leute haben ähnliche Probleme, du brauchst dich nicht für deine zu schämen.
Ich hatte Glück und bin recht schnell in die Therapie gekommen und ich denke, dass sie mir geholfen hat mit mir selbst umzugehen. Es ist immer noch nicht „gut“ und das wird es vermutlich auch nicht werden. Zur Zeit merke ich, dass gewisse Muster sich wieder einschleichen und dass ich gegensteuern muss. Die „Traurigkeit“ ist wieder da, ich kapsle mich von Leuten ab und habe große Schwierigkeiten mich selbst zu motivieren, zudem vermeide ich es mit anderen über mich und meine aktuellen Probleme zu reden, da diese für sie wahrscheinlich belanglos sind oder da diese Menschen momentan zu beschäftigt mit eigenen Dingen sind – soviel zur Selbstanalyse, ich erkenne die Anzeichen und weiß, womit ich es zu tun habe. Es ist eine tückische Sache, aber ich kann wahrscheinlich dieses Mal besser damit umgehen, auch weil ich mir damals Hilfe gesucht habe.

In meinem Umfeld waren die Reaktionen unterschiedlich, aber größtenteils positiv, was ich zuvor nicht erwartet habe. Auch das kann Mut machen. Bis auf wenige Ausnahmen konnten alle, denen ich meine Erkrankung offenbart hatte, damit vernünftig umgehen. Ich habe nur sehr wenig bis gar keine Zurückweisung oder Unverständnis erfahren, wie sie in dem eingangs verlinkten Text beschrieben sind. Allerdings ist der Personenkreis, mit dem ich offen über die Sache gesprochen habe, auch sehr klein. Leider habe ich immer wieder beobachten müssen, dass andere Menschen mit ähnlichen Problemen von ihrem Umfeld nicht so ideal behandelt wurden, um es vorsichtig auszudrücken. Auch das erschreckt mich auf eine gewisse Weise.

Was bleibt dazu noch zu sagen? Psychische Erkrankungen sind keine „Modeerscheinung“ und kein Spaß. Man hat heutzutage Begriffe dafür und kann sie behandeln und das sollte man auch, da sie sehr gefährlich sind und in viel zu vielen Fällen tödlich enden. Ich bin mir sehr bewusst, wie nahe ein tödliches Ende in meinem Fall war. Ein Großteil der Bevölkerung wird mindestens einmal im Leben eine depressive Episode durchmachen. Niemand ist schwach oder ein schlechterer Mensch, wenn er solche Probleme hat. Es ist auch niemandem geholfen, wenn man mit Erkrankten umgeht, als wären sie schwach. Man kann immer Hilfe finden, Freunde und Familie, Ärzte, Therapien, Medikamente. Es sich selbst gegenüber kleinreden und „niemandem zur Last fallen zu wollen“ sind keine Lösungen, sondern machen es nur schlimmer. Das mögen ziemliche Klischees sein und ich bin mir aus eigener, leidvoller Erfahrung bewusst, dass es einige Überwindung kostet den ersten Schritt zu machen. Ich kann nur sagen, dass ich ihn gemacht habe und dass es mir geholfen hat.

Und was ist deine Geschichte?

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