Samstag, 12. September 2015

Das Ende einer unendlichen Geschichte

Wie bereits einmal erwähnt, wurde meine Wohnung vor einigen Wochen mit Balkonen versehen. Die Geschichte hinter diesen ist eine lange und komplizierte voller Rückschläge und Wirrungen...

Schon bei der Unterzeichnung des Mietvertrages schwärmte der Vermieter von seiner Idee das Hinterhaus mit Balkonen auszustatten. Dieser Wunsch war wohl von einem der Bewohner an ihn herangetragen worden und er war mit Feuer und Flamme bei der Planung. „Nicht mehr in diesem Jahr“, der Einzugstermin war im März, „aber nächstes Jahr geht das los“, so oder ähnlich waren seine optimistischen Einschätzungen während des Gesprächs. Das war 2012.

Jenes Jahr, der Weltuntergang und auch das darauf folgende vergingen ereignislos in Bezug auf die Balkone. Wenn man dem Vermieter über den Weg lief, erwähnte er immer wieder gerne seinen glorreichen Plan, doch folgten diesen Worten keine Taten. Lächeln und Nicken, das war immer die beste Antwort auf seine Auslassungen.

Doch 2014 sollte alles anders werden.

Ein Schreiben an alle Mieter tauchte auf, in dem nun konkrete Pläne erläutert wurden. Im ersten Schritt sollte der Innenhof umgestaltet und Fundamente angelegt werden, im zweiten sollten dann die Balkone gebaut werden. Mit einer Woche Verspätung begannen die Baumaßnahmen. Tatsächlich schien das Unmögliche plötzlich möglich zu werden, denn die Hofumgestaltung und das Gießen der Balkonfundamente wurden nach einiger Zeit abgeschlossen. Doch dann... nichts. Alle hielten die Luft an und warteten darauf, dass eines Morgens Bauarbeiter die Wände erklimmen würden, aber das Warten war vergebens. Im Herbst des vergangenen Jahres, lange nach dem angegebenen Bautermin, erwähnte der Vermieter bei einem zufälligen Treffen beiläufig, dass die Firma, die mit dem Bau beauftragt war, „abgesprungen“ sei, eine etwas eigenwillige Formulierung im Zusammenhang mit Balkonen. Er sei jedoch fieberhaft auf der Suche nach einem neuen Angebot. Auf den Einwand, dass es dann wohl erst im nächsten Jahr etwas werde, erwiderte er: „Die kann man auch im Winter anbauen, die werden ja nur von außen an die Fassade geschraubt, das ist ja nicht so schlimm. Die Türen baut man dann eben später ein...“

Nun ja. Der Winter verstrich. Das Frühjahr brach an, die Natur erwachte, alle waren glücklich und genossen die wärmenden Strahlen der Sonne. Niemand sprach mehr von oder dachte an die Balkone. Eines Tages am Ende des Wonnemonats Mai begegnete mir wieder einmal der Vermieter. Im Vorbeigehen rief er: „Ende des Monats! Ende des Monats kommen die Balkone!“ Ich nickte, lächelte und ging schnell weg, das ganze wirkte inzwischen ein wenig wie ein Running Gag. Da der Mai fast Geschichte war, ging ich davon aus, dass er vom Juni sprach und wartete mit mäßigem Interesse auch diesen Monat ab. Man wundert sich nicht mehr, dass nichts geschah.

Im Juli jedoch sollten alle überrascht werden. Wieder gab es ein Rundschreiben und einen konkreten Termin. Und zum ersten Mal in dieser Geschichte wurde dieser auch eingehalten – eine Horde Handwerker, allerlei Werkzeug, ein kompakter Kran und eine ebenso kompakte Hebebühne strömten in unseren engen Hinterhof und begannen mit der Arbeit. In wenigen Tagen waren die lang angekündigten Balkone, eher unansehnliche Metallkonstruktionen, von außen an der Fassade befestigt, wie es der Vermieter, ein wahrer Prophet, einst angekündigt hatte.

Doch dies war nicht das Ende. Zwischen Balkon und Wand klaffte jeweils ein etwa 20 Zentimeter breiter Spalt, laut Erklärung „falls man da mal irgendwann in einigen Jahren die Wände noch dämmen will“ (es graut mir ein wenig davor, dass dies das nächste endlose Projekt im Haus wird), zudem gab es noch keine Türen, wir mussten aus dem Fenster klettern um diese Erweiterungen unserer Wohnungen nutzen zu können.

Auf Nachfrage beschwichtigten die zuständigen Handwerker die ungeduldigen Mieter, zumindest was den ersten Punkt anging, und kündigten an, dass sie zeitnah noch ein Blech über den Abgrund setzen würden. Ein Versuch sie zeitlich festzunageln führte immerhin zu der Aussage „Zwischen nächster Woche und Ende August, denn dann gehen wir in Urlaub“.

Diese Leute tauchten zwar nicht in der folgenden Woche auf (wir befanden uns inzwischen im August), doch immerhin tat dies ein Mann, der mit dem Einbau von Fenstern seinen Lebensunterhalt bestreitet. Dieser vermaß alles, was er brauchte, um „zeitnah“ Balkontüren einzubauen – zudem prüfte er, an welchen Stellen Heizkörper versetzt werden müssten, damit er überhaupt arbeiten kann. Alle waren fast euphorisch, da sie hofften, dass diese Odyssee nun vielleicht endlich ihren Abschluss finden würde.

Doch wie das so ist, der Mensch lernt nichts aus seiner Geschichte. Die Wochen verstrichen, ohne dass sich einer der zuständigen Handwerker jemals wieder meldete. Sobald man des Vermieters angesichtig wurde, wurde nachgehakt, doch er wusste auch nicht mehr und kündigte nur an „da mal anzurufen“. Am Ende des Monats betrat ein weiterer Akteur in diesem Stück die Bühne, der Heizungsinstallateur. Auch er nahm sehr sorgsam Maß, da er in einer unserer Räumlichkeiten eine Spezialanfertigung von Heizkörper einbauen müsste – der Platz ließ nichts anderes zu. Doch auch an dieser Front herrschte nach dem Termin nur noch Schweigen.

Vor einer Woche ging es dann plötzlich Schlag auf Schlag. Die Bleche wurden angebaut, einen halben Tag lang turnten die Handwerker auf den Balkonen herum, schoben die Einrichtungen, die die Bewohner schon mal (eigentlich unerlaubt) dort platziert hatten, beiseite und schlossen unter lautem Getöse und Rumoren den Spalt zwischen Wand und Balkon. Eine Kleinigkeit zwar, doch es ist wesentlich angenehmer auf dem Balkon zu sitzen, wenn man nicht ständig beim Blick nach links bis hinunter auf den gepflasterten Hof schauen kann.

Zwei Tage später war der Heizungsmann da. Ein 1,95 m hoher Heizkörper soll nun im Winter verhindern, dass wir im Schlaf erfrieren. Am selben Tag kündigte der Vermieter im Vorbeigehen an, dass „nächste Woche dann die Türen kommen. Oder übernächste Woche. Ich ruf' da nochmal an.“

Wie es aussieht, wird es dann die „übernächste“. Übermorgen soll es losgehen und innerhalb von drei Tagen erledigt sein. Man darf äußerst gespannt sein, welche Hindernisse, halbfertigen Ergebnisse oder anderen Absonderlichkeiten uns dabei noch erwarten. Vielleicht, aber nur vielleicht, endet an der Stelle auch die lange Geschichte von der tollen Idee unseres Vermieters und wir können uns alle glücklich und zufrieden dort sonnen und Tomaten anpflanzen.

Diesen Text schrieb ich auf dem Wohnzimmerbalkon sitzend und die Septembersonne des Jahres 2015 genießend. Die Mietpartei, die ursprünglich nach Balkonen gefragt hatte, wohnt übrigens schon seit etwa zwei Jahren nicht mehr im Haus. Ich hoffe, dass sie in ihrer neuen Bleibe endlich gefunden hat, worauf sie hier vergeblich wartete.

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