Freitag, 26. April 2013

Glück und die anderen



„Das Glück hängt nicht von dem oder jenem Seelenzustand ab, es besteht nur im Vergleich des eigenen Zustandes mit dem des anderen.“

Dieser Satz stammt aus „Justine oder Die Leiden der Tugend“, verfasst Ende des 18. Jahrhunderts vom berühmt-berüchtigten Donatien Alphonse Francois, Marquis de Sade. Mit diesem Ausspruch (und noch vielen mehr) versucht eine der vielen philosophisch geschulten Frevlerinnen, denen die Titelheldin über den Weg läuft, diese vom wahren Wert des lasterhaften Lebens zu überzeugen. Justine bleibt, wie stets, standhaft und erleidet nicht zuletzt daher noch viele weitere Qualen. Nun kann man geteilter Meinung über die in diesem Buch verfassten Philosophien und Meinungen sein, ebenfalls darüber, ob man es nun unbedingt gelesen haben muss, jedoch ließ mich dieser eine Satz (und auch einige andere) doch kurz innehalten und ließ mich nachdenklich werden.

Tatsächlich steckt darin anscheinend mehr Wahrheit und Aktualität, als man denken mag. Es scheint den Menschen ungeheuer wichtig zu sein ihre eigene Situation, im Guten wie im schlechten, mit der anderer Personen zu vergleichen und sie können offenbar erst dann Zufriedenheit empfinden, wenn sich diese beiden Situationen unterscheiden. Man freut sich darüber, der Beste zu sein bei Wettbewerben, die Kollegen bei einer anfallenden Aufgabe übertroffen zu haben oder anzusehen, wie Bekannten kleine Missgeschicke geschehen, möglichst solche, vor denen man sie gewarnt hat, während man selbst unbeschadet bleibt.
Das hat verschiedene Gründe: Lob und Anerkennung durch die weniger Glücklichen fühlt sich natürlich gut an, doch auch der Neid auf das eigene Glück kann die Laune heben, selbst wenn das wohl nur wenige zugeben werden. An dem bekannten Spruch „Ich muss nur an [beliebige Person mit Problem XY] denken, dann geht es mir schon besser“ erkennt man, dass offenbar nicht nur de Sade erkannt hat, dass das Glück erst im Vergleich greifbar wird. Auch meint man bei vielen Menschen, die sich für eine „gute“ Sache einsetzen, immer wieder  zu spüren, dass sie dies eigentlich nur tun, um ihren Artgenossen gegenüber das Gefühl haben zu können, sie seien die besseren Menschen und dadurch auch die glücklicheren.

Interessant wird es allerdings erst, wenn das Phänomen aus der anderen Richtung auftritt, wenn Menschen anfangen ihre Probleme und ihr Leid mit dem anderer zu vergleichen und anscheinend alles daran setzen, diese zu übertrumpfen und schlechter dran zu sein. Da werden dann Krankheiten, Unglücke und andere Gebrechen gegeneinander aufgewogen, tragische Schicksale enthüllt, dass es eine Freude ist, zumindest  für die Beteiligten. Widerwillig wird dem „Sieger“ dann vom Unterlegenen Respekt in Form von Mitleid gezollt, nichts anderes wollte er ja.

Mitleid zu bekommen kann sich auch gut anfühlen. Man bekommt Aufmerksamkeit, jemand kümmert sich um die Sorgen und Nöte oder hört sie sich zumindest an. Für einen Moment steht man im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, auch wenn es nicht aus angenehmen Gründen ist… das kann anscheinend süchtig machen. Immer neue Probleme werden dem mitfühlenden Ohr offenbart, immer wieder muss die arme Seele getröstet werden, weil es ihr schlecht geht, dabei wird keine Winzigkeit ausgelassen um das Mitleid, das einem entgegen gebracht wird, noch zu steigern.

Zumindest diese letzte Entwicklung dürfte dem guten Donatien nicht behagt haben, ging es ihm doch in seinem Buch stets immer um Stärke und Macht und den Triumph derer, die diese beiden Attribute nutzen, über die Schwächeren.  Mitleid und Hilfe für andere haben in seiner Philosophie keinen Platz bzw. sind sie auch nur Ausdruck des Bestrebens nach dem eigenen Glück, fühlt sich doch der Helfer wiederum aus verschiedenen Gründen besser, wenn er anderen einen Teil seiner Zeit widmet.

Worauf will ich nun hinaus? Dass Menschen Egoisten sind, die nur ihr eigenes Wohl im Auge haben, selbst wenn sie eigentlich für andere handeln? Dass wir erst dann einigermaßen zufrieden sind, wenn wir unseren Zustand, ob gut oder schlecht, mit dem anderer vergleichen können? Zum großen Teil mag das wohl stimmen und es fallen mir direkt diverse lebende Beispiele für die hier beschriebenen Verhaltensmuster ein. Vermutlich muss man diese Dinge auch einfach hinnehmen und damit leben, gehören sie doch anscheinend fest zum menschlichen Wesen.
Doch es gibt auch die Momente, in denen es anders läuft und die einem plötzlich vor Augen führen, dass es auch anders geht. Momente, in denen man einfach glücklich ist ohne dies von anderen abhängig zu machen oder sich mit anderen vergleichen zu müssen. Vielleicht sollte man sich mehr auf diese Momente konzentrieren, denn…. tja, sie fühlen sich einfach besser an als jene, in denen das Wohlbefinden von dem der anderen abhängt. Und letztlich geht es ja doch wieder darum sich besser fühlen. Wie nennt es de Sade einige Zeilen über dem eingangs genannten Satz:

„ Es handelt sich nur um das sehr einfache und natürliche Verlangen, sich ein möglichst großes Quantum Glück anzueignen.“

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